Wir können verschiedene Typen von nicht-christlichen Anthropologien (Lehrsystemen über den Menschen; meine Anmerkung) unterscheiden. Idealistische Anthropologien betrachten den Menschen als geistig. Sein physischer Körper ist seiner wahren Natur fremd. Wir finden diese Sichtweise in der altgriechischen Philosophie. Nach Platon zum Beispiel ist das, was am Menschen wirklich ist, sein Verstand oder seine Vernunft. Sie ist eigentlich ein Funke des Göttlichen in der Person, der nach dem Tod des Körpers weiterlebt. Der menschliche Körper jedoch nimmt an der Materie teil, die von einer niedrigeren Ordnung der Realität ist. Sie ist ein Hindernis für den Geist, und ohne sie ist man wirklich viel besser dran. Diejenigen, die diese Ansicht vertreten, lehren die Unsterblichkeit der Seele, leugnen aber die Auferstehung des Körpers.
Herman Hoekema. Created in God’s Image. Eerdmans: Grand Rapids, 1994. (2-3)
Heute (das Buch erschien 1986; meine Anmerkung) ist die entgegengesetzte Art der nicht-christlichen Anthropologie, der materialistische Typ, weit verbreitet. Nach dieser Auffassung ist der Mensch ein Wesen, das aus stofflichen Elementen besteht, wobei sein mentales, emotionales und geistiges Leben nur Nebenprodukte seiner stofflichen Struktur sind. So beruht beispielsweise die marxistische Sichtweise der wirtschaftlichen Bestimmung der Geschichte auf einer materialistischen oder naturalistischen Sicht der menschlichen Natur. Für den Marxisten ist der Mensch einfach ein Produkt der Natur. Die Menschen sind nicht nach dem Ebenbild Gottes erschaffen worden. In der Tat wird die Existenz des Schöpfers selbst geleugnet. Dem Marxismus sind Konzepte wie das eines ethischen Imperativs oder der moralischen Verantwortung gegenüber Gott fremd. Der Mensch ist Teil einer sozialen Struktur; das Böse entsteht aus dieser Struktur und kann nur durch Veränderungen in ihr beseitigt werden. Der Einzelne ist nicht in erster Linie für das Böse verantwortlich, das er tun kann, die Gesellschaft ist es. Im Marxismus ist der Mensch daher nicht als Individuum wichtig, sondern nur als Mitglied der Gesellschaft. Das Ziel des Marxismus ist demnach nicht die individuelle Erlösung, sondern die zukünftige Verwirklichung der vollkommenen Gesellschaft, in der der Klassenkampf zwischen den “Besitzenden” und den “Habenichtsen” beseitigt sein wird. Gewaltsames revolutionäres Handeln kann für die Verwirklichung dieser zukünftigen Gesellschaft notwendig sein.
Eine weitere Art der materialistischen Anthropologie, die heute von Einfluss ist, ist das (deterministische) Menschenbild, das den Schriften von B. F. Skinner zugrunde liegt. In “Jenseits von Freiheit und Würde” (erstmals erschienen 1971; meine Anmerkung) behauptet Skinner, dass die Idee, dass der Mensch für sein Verhalten verantwortlich ist, in einer Tradition verwurzelt ist, die wissenschaftlich nicht mehr akzeptabel sei. …. Die Vorstellung, dass der Mensch die Freiheit hat, nach seinem “Willen” zu handeln, sei ein Mythos; das eigene Verhalten werde völlig von seiner Umgebung bestimmt. Es gebe im Menschen keinen “Geist”, der Entscheidungen treffe; es gebe in ihm oder ihr weder Freiheit noch Würde. Die menschliche Aktivität werde vollständig von der Umwelt bestimmt; wenn diese Umgebung vollständig bekannt wäre, wäre das menschliche Verhalten vollständig vorhersehbar.
… Da jede der oben genannten Menschenbilder einen Aspekt des Menschen für letztgültig hält, unabhängig von jeglicher Abhängigkeit von oder Verantwortung gegenüber Gott dem Schöpfer, ist jede dieser Anthropologien des Götzendiensts schuldig: der Anbetung eines Aspekts der Schöpfung an der Stelle von Gott.