Zitat der Woche: Die Verkürzung der Ethik

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In zunehmendem Masse … wird Ethik kasuistisch als Problemlösung für bestimmte Situationen mit der Beantwortung von Fragen oder auch Infragestellungen betrieben. Das Interesse richtet sich auf die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit ethischer Normen. Grundlagenthemen wie Gesetz und Evangelium, Gewissen, Gericht Gottes und damit vor allem die Gnadenmittel, durch die der Geist wirkt, treten immer mehr zurück bis zur völligen Fehlanzeige. Die Beantwortung der Fragen ‘Was soll ich tun?’ wird als Aufgabenstellung für die Ethik angesehen. In der Fachterminologie bezieht sich diese Frage auf die ‘conscientia antecedens’, also die einer Tat vorausgehende Gewissensentscheidung. Allerdings ist diese ethische Grundfrage höchst vieldeutig. Sie kann gestellt werden, wenn die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu treffen ist: ‘Welchen Weg soll ich gehen?’ Sie kann sich auch, was freilich seltener sein dürfte, sich auf völlige Unkenntnis beziehen: ‘Ich weiss den Weg nicht’; sie kann jedoch auch als Verweigerung mit der Flucht in Probleme aufgefasst werden: ‘Ja, sollte Gott gesagt haben…?’  (Gen 3,1)

Reinhard Slenczka in Klaus Bockmühl, Gesetz und Geist, Brunnen: Giessen/Basel, 2009. (XVI)