Rezension: Wie gehe ich mit Wut und Angst um? Zwei Kinderbücher

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David Powlison. Paul sieht rot. Wenn du wütend bist. Verbum Medien, Bad Oeynhausen (2022). 40 Seiten. Euro 7,90 bzw. 12,90. (Kauf)

David Powlison. Zoes Zufluchtsort. Wenn du Angst hast. Verbum Medien, Bad Oeynhausen (2022). Euro 7,90 bzw. 12,90. (Kauf)

Wut und Angst sind zwei komplexe Gefühlsreaktionen des Menschen. Sie betreffen Vorschulkinder ebenso wie Studenten, Berufstätige und Betagte. «Wut bedeutet, dass etwas Wichtiges in deiner Welt schiefgelaufen ist.» Damit sind zwei wichtige Tatbestandselemente genannt: In der Wahrnehmung des Wütigen oder gar Wutentbrannten ist der Vorfall von Wichtigkeit. Und das Geschehen entsprach nicht den Erwartungen, sondern ging daneben.

In der Familie von Paul beginnt es schon am Morgen früh. (Dies knüpft an meine Lebenswelt als Vater einer Grossfamilie an.) Sam stellt Paul ein Bein und saust triumphierend vor seinem Bruder in die Küche. Der «zuckende Schwanz» wird zum äusseren Symptom des inneren Zustands der Erregung. Zudem ist ein wichtiger Tag: Es geht darum Eicheln für den Winter zu sammeln. Doch die Wut bleibt nicht auf die konkurrenzierenden Geschwister beschränkt. Auch der «pater familias», Vater der Eichhornfamilie, wird von ihr gepackt, als sich Familie Schimmelpfennig nicht an die Regeln des Eichhornhandbuches hält. Und schliesslich verbrennt vor lauter Zwischenfällen der leckere Eichelauflauf im Ofen.

Der Moment betretenen Schweigens tritt ein, als die Familie realisiert, dass sie alle schuldig geworden sind. Es wird – unüblich für ein Kinderbuch – zunächst von jedem Beteiligten offengelegt, worin sein Anteil bestand. Familie Eichhorn kennt das Buch der Bücher. «Wenn ich wütend bin, dann brauche ich Gottes Hilfe. Ich brauche Jesus, der mir vergibt und mir zeigt, wo ich Fehler mache.»

Dieser Verlauf entspricht (leider) längst nicht immer der Realität meines Herzens. Meine sündige Natur will dem Zorn weiter Raum gewähren lassen. Wider besseres Wissen gelangen wir zu selten zum gemeinsamen Schuldeingeständnis. Es kann sogar geschehen, dass wir Eltern kleinlaut die Folgen unseres Zorns eingestehen – und den Kindern damit Raum zum Weitermachen gewähren, weil sie ihren Anteil gar nicht benennen und bekennen. Dies nennt man dann Rollenumkehr. 

Doch zurück zu meiner Vorleseerfahrung, dieses Mal mit zwei Jungs im Kindergartenalter. Der eine meinte: «Der Moment, als Familie Schimmelpfennig vor dem Baum auftauchte, gefiel mir am besten.» Reibung ist spannend, da hat der junge Mann recht. Ich sah mich beim Vorlesen mit zwei Herausforderungen konfrontiert: Wie halte ich beim Vorlesen die Spannung aufrecht? Mediengewohnte Kinder sind sich hohes Tempo und «krasse» Vorfälle gewohnt. Hier merkte ich, dass ich als vorlesender Erwachsener nicht in die «Lieferhaltung» kippen darf. Zudem gibt es die Möglichkeit, den Inhalt des Buches zu einem anderen Zeitpunkt nochmals aufzugreifen und daran anzuknüpfen.

Von der Farbe «rot» (Zorn) ging es dann zu «violett» (Angst) über. Keine Eichhörnchen, sondern Mäuse sind die Repräsentanten. Die eher aussengerichtete Emotion des Zorns wird von der stark verinnerlichten der Angst abgelöst. Sehr treffend dargestellt ist der Ort der Geborgenheit unter der Decke. Es geht um Rückzug und das Kultivieren einer eigenen Vorstellungswelt. Zwei weitere Momente sind unglaublich treffend aufgegriffen: Es geht nicht darum die Angst zu vermeiden, sondern beim erneuten Auftreten ihr anders zu begegnen bzw. zu antworten. Dem eigenen «Tunnel» entronnen, kann das Mauskind den Blick auf die Realität zurückgewinnen. Auch in diesem Handlungsablauf ist das Schuldeingeständnis – ich habe meiner eigenen Gefühlswelt zu viel Raum gelassen und der erwachsenen Aufsichtsperson nicht zugehört – ein zentrales Moment. Es bleibt jedoch nicht dabei, sondern kurz darauf folgt der entscheidende Schritt in Richtung erneuerte Gewohnheiten. „Ermutige dein Kind, im Glauben und in Liebe kleine Schritte vorwärts zu gehen. Für Zoe (die Hauptperson) bedeutete das, mit zum Klassenausflug zu gehen, obwohl sie Angst hatte. Zu welcher kleinen, praktischen Tat kannst du dein Kind heute ermutigen?“

Fazit: Die beiden Kinderbücher greifen gekonnt und wirksam zwei zentrale Gefühlslagen auf. Die Tier- und Farbenwelt helfen den Kindern (und dem Vorleser) dabei an ihre Lebenswelt anzuknüpfen. Die Handlungen sind alltagsnahe und dadurch fast zu «unspektakulär». Die Auflösung aus Sicht der christlichen Weltsicht ist ungewohnt (Schuldbewusstsein, biblische Diagnose, Bekenntnis vor Gott und anderen, neuer Weg). Ich kann mir vorstellen, dass es hier auch für den Erzähler Übung braucht. Es geht nicht (mehr) darum, das Kind mit aufregenden Geschichten zu befriedigen, sondern es zum dem zu führen, der die Emotionen heiligen kann.