Zitat der Woche: Ultimative Selbstbestimmung

Ich räume ein, dass der Begriff der ultimativen Selbstbestimmung in eine philosophisch aufgeladene Terminologie mündet. Aber mein Ziel ist nicht in erster Linie philosophisch, sondern praktisch. Millionen normaler Menschen haben die kulturell (nicht biblisch) begründete Annahme im Kopf, dass ultimative Selbstbestimmung für ihr moralisch verantwortliches Menschsein wesentlich sei. Allerdings benutzt fast niemand von ihnen diesen Begriff. Vielmehr verwenden sie den Begriff des freien Willens. Dieser Begriff wird in unserer Kultur mit so positiven Gefühlen und Vorstellungen verbunden, dass er als akzeptierte Annahme praktisch unangefochten ist.
Aber nur sehr wenige Menschen halten inne, um ihn zu definieren. Wenn sie das tun, hören sie sich an wie Philosophen. Deshalb gibt es ja Philosophen. Es ist unvermeidlich. Und ich beklage mich nicht darüber, dass es sie gibt. Worüber ich mich vorhin beklagt habe, war die Bevorzugung philosophischer Fragen gegenüber exegetischen Fragen und die unvermeidliche Gefahr, sich in den Zweideutigkeiten und Feinheiten philosophischer Worte zu verstricken. Ich stehe zu diesen beiden Anliegen, auch wenn ich diese Gefahr ebenfalls in Kauf nehmen muss. Ich bin also nicht gegen die Philosophie. Ich bete sogar für mehr gottzentrierte, Christus verherrlichende, bibeldurchtränkte Philosophen!
Wenn wir innehalten, um den freien Willen zu definieren, dann meinen die Menschen wohl auf einer bestimmten Ebene so etwas wie dies: “Ich tue etwas aus freiem Willen, wenn ich nicht dazu gezwungen werde, z. B. indem mir jemand eine Waffe an den Kopf hält (oder an den Kopf meines Kindes).” Aber wenn man die Menschen auf einer tiefer liegenden Ebene danach fragt, wer ihre Entscheidungen letztendlich kontrolliert, würden sie, so denke ich, normalerweise etwas sagen wie: “Wenn ich nicht die letzte Kontrolle habe, dann habe ich keinen freien Willen”. Dann würden sie wahrscheinlich hinzufügen: “Und wenn ich keinen freien Willen habe, dann bin ich auch nicht verantwortlich. Ich bin ein Roboter.”
Da dieses tiefere (und fast universelle) Verständnis des freien Willens die Annahme einer ultimativen Selbstbestimmung beinhaltet (ich habe die endgültige, entscheidende Kontrolle in dem Moment, in dem ich etwas vorziehe und danach handle), können Sie sehen, wie oft diese Annahme in unsere Bibellektüre eingebracht wird. Ich will damit sagen, dass wir das nicht tun sollten. Wir sollten abwarten und sehen, was Gott über seine Vorsehung sagt. Wir sollten abwarten, ob Gottes Wort uns zu der Annahme veranlasst, dass wir letztlich selbstbestimmt sein müssen, um verantwortliche Menschen zu sein.

John Piper, Providence, Crossway: Wheaton 2020. (214f)