‚Auf keinen Fall’ werden wohl in diesen Tagen die meisten rufen. Kurt Tucholsky reagierte auf Frage: „Was darf die Satire?“ Kurz und knapp mit: „Alles”. „Niemand kann bestimmen, was ich denke“, so ein Rappersong zu „Ich bin Charlie“. Und alle Politiker stellen vehement – bezogen auf den Terroranschlag in Paris – das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit als Grundlage freiheitlicher Verfassungen heraus. Als Fazit könnte festgehalten werden: Die Satire darf alles!
Laut Duden ist die Satire eine Kunstgattung der Kritik mit den Stilmitteln Übertreibung, Witz, Polemik oder beißendem Spott, um Zustände oder Missstände möglichst öffentlichkeitswirksam zu thematisieren. Dabei geht es um Personen, Institutionen, religiöse oder ethnische Gemeinschaften oder bestimmte Auffassungen.
Die Satire ist demnach ein in Wort oder Bild gebrachtes Kritik-Mittel. Aber wie kann daraus ein Subjekt werden, welches aus sich heraus alles darf? Würde jemand die Frage stellen, darf ein Messer oder eine Kamera alles, die meisten Menschen würden stutzen oder lachen. Schnell würde klar, dass nicht Werkzeuge, sondern die damit Agierenden die Verantwortung für deren Einsatz haben. Ja, Kinder machen schon mal in Verteidigungs-Situationen ihr Spielzeug zum Subjekt und sagen, “das war nicht ich, sondern der … !” Jenseits dieser Naivität steht also nicht die Satire, sondern nur der sich ihrer Bedienende im Zentrum.
Schnell könnten die Verfechter einer unbegrenzten freien Meinungsäußerung nun das der Satire zugeschriebene Recht, ‚alles zu dürfen’, auf die handelten Protagonisten übertragen. Mit diesem Status wäre dann jeder per Spott, Polemik, Agitation oder Aggression Handelnde jenseits einer eigenen Verantwortung. Filmszenen oder Zeitschriften und nicht Menschen würden dann bei groben Rechtsverstößen angeklagt. Aber keine bestimmte Form von Meinungsäußerung hat einen Freibrief. Nur die jeweils Handelnden können ethisch bzw. rechtlich zur Verantwortung herangezogen werden. Dann sind Fakten auf ihre Richtigkeit und Meinungs-Äußerungen auf mögliche Verstöße gegen andere Rechte zu überprüfen, per fairen Disput oder vor Gericht.
Es wundert stark, dass es in den aktuellen Reaktionen zum Thema Satire oder ähnlichen Provokationen keine Hinweis zu folgendem Grundrecht gibt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, so steht es im Grundgesetz. Auch die freie Religionsausübung ist ein hohes Gut und ihre Unverletzlichkeit wird ebenfalls durch demokratische Verfassungen geschützt. Selbst wenn es bei der Gewaltaktion in Paris um kaum beeinflussbaren Terror ging, sollten diese weiteren Grundrechte in einem Atemzug mit genannt werden, um nicht neuen Konflikten den Boden zu bereiten.
Geraten Grundrechte in Widerstreit, greift der Maxime: Mein Recht – beispielsweise auf freie Meinungsäußerung – wird immer durch die Rechte anderer begrenzt. Die ‚Goldene Regel’ bringt uns nahe: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg’ auch keinem anderen zu“. Manches Angedachte sollte auch durch Anstand und Verstand gestoppt werden. Denn jede Freiheit benötigt als Regulativ die Verantwortung, weil sonst Tyrannei entstünde.
Dieser Grundsatz trifft besonders zu, wenn Einzelne oder Personengruppen mit Häme überschüttet der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Hier ist schon deshalb ein Stopp notwendig, weil so nicht nur Grundrechte anderer grob missachtet werden, sondern häufig die damit erlebte Erniedrigung und Ohnmacht Ausgangsbasis von reaktiver Gewalt ist. Das in der Soziapsychologie genutzte Drama-Dreieck beschreibt sehr nachvollziehbar, wie aus Opfern durch Abwehr oder Rache Täter und somit die, diesen Prozess auslösende Täter zu Opfern werden. Es liegt im Interesse aller, einen solchen Kreislauf der Gewalt nicht anzufeuern.
Es ist ermutigend, dass so viele Menschen angesichts des Massakers in Paris öffentlich ein Zeichen gegen Gewalt und Terror setzen. Aber mit etwas Abstand ist es notwendig, sich die Mahnrufe „Ich bin Charlie“ genauer anzuschauen, weil sonst aus der mehr als nachvollziehbaren Solidarität mit ermordeten Menschen eine Solidarität mit dem Produkt ihres Handelns würde. Denn hätte es vor Wochen einen Aufruf zu einer Unterstützung der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo gegeben, wie viele hätten sich dann öffentlich bekundet? Auf jeden Fall wären – selbstkritisches Agieren vorausgesetzt – die Inhalte, die Motive der Herausgeber, die Schroffheit der Kritik sowie mögliche ideologische Verflechtungen vorab einer gründlichen Analyse unterzogen worden. Es ist nicht davon auszugehen, dass es zu einem breiten Identifikationsvorgang: „Ich bin Charlie Hebdo“ gekommen wäre. Und auch der Bundespräsident hätte sich anders geäußert.
Nach Tucholsky ist der echte Satiriker im Kern ein Idealist: „Eigentlich geht es ihm um die bessere Welt“. Orientieren sich aber Menschen oder Medienorgane, wie z.B. das Magazin Charlie Hebdo an der Strategie „Satire, Skandale und gerne auch Blasphemie“ (so die Headline der „RP“ vom 8.1.2015), dann bewegen sich die dort Agierenden jedenfalls bewusst in einem äußerst konfliktträchtigen Terrain, jenseits eines Weges zur Verbesserung von Umständen. Mein Fazit: Jeder Akteur hat immer die Freiheit, diffamierende Attacken zu Lasten anderer auch aus Verantwortung zu lassen. Wenn die Menschen etwas mehr Empathiefähigkeit besitzen würden, sich selbst nicht ständig als Maßstab für andere sähen, sie in größerem Umfang mit sich selbst in Frieden leben könnten und sie sich wirkungsvoller einer Gier nach Aufmerksamkeit, Geld und Macht widersetzten, ja – dann würde die Würde aller Menschen wesentlich besser geschützt.
Dr. Albert Wunsch ist Psychologe, Diplom Sozialpädagoge, Diplom Pädagoge und promovierter Erziehungswissenschaftler. Bevor er 2004 eine Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule NRW in Köln (Bereich Sozialwesen) begann, leitete er ca. 25 Jahre das Katholische Jugendamt in Neuss. Im Jahre 2013 begann er eine hauptamtliche Lehrtätigkeit an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen / Neuss. Außerdem hat er seit vielen Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf und arbeitet in eigener Praxis als Paar-, Erziehungs-, Lebens- und Konflikt-Berater sowie als Supervisor und Konflikt-Coach (DGSv). Er ist Vater von 2 Söhnen und Großvater von 3 Enkeltöchtern.
Seine Bücher: Die Verwöhnungsfalle (auch in Korea und China erschienen), Abschied von der Spaßpädagogik, Boxenstopp für Paare und Mit mehr Selbst zum stabilen ICH – Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung, lösten ein starkes Medienecho aus machten ihn im deutschen Sprachbereich sehr bekannt. Weitere Infos: www.albert-wunsch.de.