Gott aber sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde gewesen, nun aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Vorbild der Lehre, das euch überliefert worden ist. (Römer 6,17)
Lehre trennt, Erfahrung vereint? Das scheint das gelebte Motto vieler Evangelikaler geworden zu sein. Es ist gut vereinbar mit der (noch) aktuellen gesellschaftlichen Übereinkunft, wonach das Gute, Wahre und Schöne ein individuelles Gut sei, dass sich an der Erfahrung des Einzelnen messe.
Allerdings ist das Motto selbst eine ungeheuer doktrinäre Aussage! Sie bedeutet beispielsweise, dass das Ringen um wahre Aussagen in den Hintergrund rückt und ein Zusammengehen mit anderen Konfessionen und Religionen kein Hindernis mehr darstellt – falls der Gefühlshaushalt der Beteiligten zustimmend bedient wird.
Sinclair Ferguson in seinem wunderbaren schottischen Akzent stellt in seinem hörenswerten Vortrag “Doctrine in the Dock” von 2013 heraus, dass dies nicht nur den Aussagen der Bibel entgegensteht. Diese ungesunde Lehre führt von höchsten Ziel, in der Gegenwart von Christus zu leben und sich an ihm zu erfreuen – was als das höchste Glück bezeichnet wird – weg. Statt in das Bild Christi verwandelt zu werden, wirft es uns auf uns selbst zurück. Was für ein Elend!
Gesunde Lehre verändert gerade die Erfahrung. Die untergründig ungestillte Sehnsucht nach Gotteserfahrung wird auf dem Weg der Selbsterfahrung noch ausgeprägter. Je mehr der Mensch sich auf sich selbst fokussiert, desto unerfüllter und unzufriedener wird er. Das «Loch» wird grösser und muss mit Ersatzangeboten «gestopft» werden.
Ferguson blendet im ersten Teil des Vortrags auf die historische Entwicklung zurück. Er verweist einerseits auf Immanuel Kant, der die gesamte Religiosität aus dem für den Menschen direkt zugänglichen (phänomenalen) Bereich in einen unerreichbaren, nicht überprüfbaren Bereich verbannte. Das führte dazu, dass keine propositionalen Aussagen über Gott mehr möglich waren bzw. mangels fehlender Sinneseindrücke die Religion in den privaten Bereich zurückgedrängt wurde. Als zweiten massgeblichen Einfluss nennt Ferguson Friedrich Daniel Schleiermacher, der den Glauben auf den Raum der Erfahrung begrenzte.
Christus mit ganzem Verstand, ganzer Kraft samt allen Gefühlen zu suchen ist in Wahrheit der biblische Auftrag. Die Wiederentdeckung dessen, was bis vor der Zeit der Aufklärung – besser würde man sie Verdunkelung nennen – selbstverständlich war, ist Not der Stunde! Noch besser: Gebetsanliegen für 2022.