Zitat der Woche: Muss ich nochmals versichern, dass Du mein Stolz bist?

Zufällig stiess ich in einer Buchhandlung auf die Biografie der Kinderbuchautorin Elisabeth Müller (1885-1977). Der Wikipedia-Eintrag vermerkt:

1909 wechselte sie an das bürgerliche Waisenhaus in Bern, bis sie 1913 an Tuberkuloseerkrankte, bis 1918 in diversen Sanatorien behandelt wurde und danach zu ihrer Familie nach Langnau zurückkehrte. In dieser Zeit der äusseren und inneren Krise fand sie zum Schreiben. Religiös näherte sie sich dem Pietismus, wodurch sie in einen gewissen Gegensatz zu ihrem theologisch entschieden liberalen Vater geriet.

Man vergleiche dazu den Beitrag aus der Frauen-Biografie-Forschung:

Es gelang der jungen Lehrerin Elisabeth Müller nur schwer, sich aus dem Schatten eines übermächtigen Vaters zu lösen, des wortgewaltigen Pfarrers von Langnau im Emmental. Das jahrelange Leiden an Tuberkulose brachte erneute Abhängigkeit von der Familie. Im Lungenkurort Leysin verfasste sie ihre ersten Bücher Vreneli (1913) und Theresli (1918), die grosse Erfolge wurden. Krankheit und Schmerzen begleiteten sie ein Leben lang. Rollenzwänge machten ihr die Entfaltung schwer. Diesen Widrigkeiten setzte sie vor allem in späteren Jahren stille Rebellion entgegen. Den Hindernissen begegnete sie aber auch mit Schalk, Witz und Humor, die letztlich in einem tiefen religiösen Glauben wurzelten. 

Der Biograf Samuel Geiser (Elisabeth Müller: Leben und Werk, 1978) vermerkt:

Das erste Türlein (zur lebenslangen Berufung) öffnete der Vater. Als er einmal von einem Schulbesuch nach Hause kam, erzählte er begeistert von einer Lehrerin in einer Nebenausschule, die es besonders gut verstehe, mit den Kindern umzugehen. Die Begeisterung des Vaters zündete einen Funken in der kleinen Elisabeth, und noch in ihren alten Tagen erzählte sie immer, sie habe ihr Leben lang von einem einfachen Schulzimmer geträumt. (36)

Der Briefauszug ihres Vaters ist interessant, in welchem er die etablierte Autorin sanft tadelte:

Bin ich denn wirklich, liebes Beni, ein solcher Büffel, dass ich für den Sinn Deiner reizenden Schilderung gar kein Organ habe? Dass ich Deine Freude, mir eine Freude zu machen, nicht aus jedem Wort herausfühle? Ich bin ja fast vergangen vor Freude. Habe allen Leuten davon erzählt. … Ist es wirklich noch nötig, dass ich Dich meiner Liebe versichere, wie von meinem Stolz auch über Deine geistigen Produkte und beruflichen Erfolge? … Lassen wir das. …. Muss ich nochmals versichern, dass Du mein Stolz bist? In aller Bescheidenheit u. Demut bitte ich Dich auch, mich nicht gar zu tief einzuschätzen in meinem Verständnis. (121)

Aus ihrem Werk “Was in der Stille wächst” (1962) wird zitiert (108):

Das ‘Ja’ und ‘Nein’ des Erziehers. Diesem beiden Wörtlein spürt man an, dass sie Entscheidungen fordern. Wer ‘Ja’ sagt, muss wissen warum., und das ‘Nein’ muss erwogen sein. Es geht im Grunde um die Frage: Führung oder Freiheit.

Ich habe bereit an anderem Ort ihre Beschreibung einer Mutter wiedergegeben. Ebenso zitierte ich einen längeren Auszug aus ihren Erinnerungen 1958.

Mir gefallen besonders die Sechs Kummerbuben (1942), die ich in Buchform und nicht als Film (1968; 2019) mehrmals las und mich mit den Rangeleien unter den Brüder und dem Erhalt des elterlichen Häuschen identifizierte. Das Schweizerfähnchen (1937) las meine Frau vor; es handelt von einer Rückkehrer-Familie aus Russland nach der Oktoberrevolution 1917 ins Berner Hinterland. Ich habe im Beitrag “Das schwache Selbst der Selbverliebten” Auszüge zitiert. Erst vor wenigen Jahren lernte ich Die beiden B kennen und litt mit den starken Konflikten einer Familie mit.