Input: In die Ferne schweifen, um die eigenen Probleme deutlicher zu erkennen

Andrew Ong analyisert in seiner Arbeit “Toward a Chinese American Evangelical Theology: The Promise of Neo-Calvinism” (2019) Zustand, Schwächen und Perspektiven der US-amerikanisch-chinesischen Community. Er identifiziert drei Schwachpunkte: Anthropologische Uniformität, eine Verwirrung zwischen Individualismus und Kollektivismus und eine dualistische Schöpfungslehre.

Aus theologischer Sicht gibt es drei problematische Ansichten, die die meisten chinesisch-amerikanischen Evangelikalen beeinflusst sind, die sie daran hindern sich theologisch mit den verschiedenen Herausforderungen und Anliegen auseinanderzusetzen. Chinesisch-amerikanische Evangelikale aus China leiden unter einem vereinfachten Verständnis von ethnischer Zugehörigkeit, der Verwirrung über die Beziehung zwischen Individuen und Gruppen und einer strikten dualistischen Trennung zwischen dem sakralen und säkularen Bereichen, der Seele und dem Körper sowie dem Christentum und der Kultur. (10)

  • Vereinfachtes Verständnis ethnischer Zugehörigkeit

Nach dem “farbenblinden” Ansatz (color-blind approach), der der dazu neigt, Ethnien und deren Wert zu nivellieren, scheint es wahr zu sein, dass Kirchen, die ethnische Bezeichnungen in ihrem Namen tragen oder sich gezielt an bestimmte ethnische Gruppen wenden, in zumindest einem Aspekt ihres Dienstes weniger treu zu sein scheinen. Schließlich soll die Kirche nicht danach streben, alle Menschen zu erreichen.

Es hat also den Anschein, dass ethnische Kirchen im Widerspruch zu Jesu Vision der Einheit der Kirche stehen. Aus diesem Grund haben viele chinesische Amerikaner ihre chinesischen Heimatkirchen verlassen und sind zu multiethnischen Kirchen gewechselt, auch wenn diese oft bloss multiasiatische Kirchen oder überwiegend weiße Kirchen waren, auf ihre eigene Weise wiederum homogen. (125)

  • Verwirrung bezüglich Individualismus und Kollektivismus

Chinesische Amerikaner sind im Allgemeinen weniger individualistisch und stärker kollektivistisch als die meisten weißen Amerikaner. Sie sind jedoch nicht immun gegen die schädlichen Auswirkungen eines unverhältnismäßigem und übermäßigem Individualismus. Da sie sowohl Amerikaner als auch (amerikanische) Evangelikale sind, haben chinesisch-amerikanische Evangelikale tatsächlich einige der individualistischen Tendenzen des amerikanischen Evangelikalismus übernommen. Ihre Übernahme des übermäßigen Individualismus zeigt sich in ihrer verkürzten Sicht der Mission, in der immer wiederkehrenden Gemeindedynamik ihrer Mehrgenerationen-Gemeinden und in ihrem oft simplistischen Ansatz in der Theologie deutlich.

Doch so individualistisch der chinesisch-amerikanische Evangelikalismus auch geworden ist, er ist nicht auch nicht immun gegen die gefährlichen Auswirkungen eines überbewerteten Kollektivismus. Das zeigt sich am besten in der allgegenwärtigen Schamkultur, die selbst die individualistischsten chinesisch-amerikanischen christlichen Gemeinschaften durchdringt sowie Übeln von Legalismus und Konsumdenken. Eine noch umfassendere Art und Weise, in der chinesisch-amerikanische Evangelikale auch Besonderheiten und Partikularität heruntergespielt haben, ist ihre Theologie der Ethnizität, …Dies hat dazu geführt, dass chinesisch-amerikanische Christen die Legitimität ihrer eigenen ethnischen Kirchen in Frage stellen und ihre einzigartigen kulturellen Perspektiven in ihrer Auseinandersetzung mit der Theologie. (131)

  • Trennung zwischen sakralem und säkularem Bereich

In Anbetracht der Kulturkämpfe und der zunehmend pluralistischen Gesellschaft in Amerika haben Evangelikale oft damit zu kämpfen, zu formulieren, wie die Schöpfung mit ihrer enormen Glaubensvielfalt zu ihrem eigenen, einzigartigen christlichen Glauben in Beziehung gesetzt werden können. Eine gängiger evangelikaler Weg besteht darin, sich als Christen auf die Schöpfung zu beziehen, indem sie in ihrem täglichen Leben einen sakralen einerseits und einen säkularen Rahmen geben. Demnach sind Gebet und Gottesdienst heilige Aktivitäten, Pfarrer verrichten heilige Arbeit; Kirchen sind heilige Räume. Unterhaltung, Sex, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft fallen in den säkularen Bereich. (152)

Ich wünsche mir einen ähnlich geschärften Blick auf die Herausforderungen in unseren Ländern und Kirchgemeinden.