Der britische Journalist und Autor Malcolm Muggeridge (1903-1990), der als Sohn eines glühenden Sozialisten aufgewachsen war, beschreibt seine Erwartungen hinsichtlich seines berühmt gewordenen Aufenthalts in der Sowjetunion der 1930er-Jahre. Die darin enthaltene Selbstkritik – seine gesamte Weltanschauung wurde durch das entdeckte Elend und furchtbare Unrecht auf den Kopf gestellt – ist erfrischend.
Kitty und ich waren zuversichtlich, dass die Reise nach Russland ein endgültiger Schritt, ein letztes Abenteuer sein würde. Unser Plan war, sobald wir uns eingelebt hatten, unseren Sohn zu holen und für immer dort zu leben. Wir wollten, so sagten wir allen mit Nachdruck, dass er in einer gesunden Welt mit einer Zukunft aufwächst und nicht in unserer verrückten, heruntergekommenen Welt, die nur Vergangenheit besitzt. Was wir zurückließen, empfanden wir als verfallen, als marode. Ein vorpubertärer Ramsay MacDonald, der Grimassen schneidet und posiert, der von seinen politischen Gegnern verführerisch noch ein wenig länger im Amt gehalten wird, um all das der Lächerlichkeit preiszugeben, wofür die politische Bewegung, die ihn überhaupt erst zum Premierminister gemacht hatte, jemals gestanden hatte oder was sie anstrebte. Die Depression hing wie eine dunkle Wolke über dem industriellen Norden, insbesondere über Lanca shire; The Guardian unter Crozier war abgrundtief zweitklassig und flach; ein weiterer Krieg drohte, der mit Sicherheit kommen und die moralische und materielle Zerstörung des vorherigen vollenden würde. Wo wir hingingen, versicherten wir uns und einander, gab es Hoffnung und Begeisterung. Es war die Welle der Zukunft – ein Begriff, der schon damals aktuell war.
In diesem Gefühl verkauften wir so ziemlich alles, was wir besaßen, und verbrannten sozusagen alle unsere bürgerlichen Besitztümer. … Von welchem Nutzen wäre ein Bankkonto in einem Land, in dem die Bankiers zusammen mit den Industriellen, den Großgrundbesitzern und den Priestern abgeschafft worden waren? Mit besonderer Freude warf ich unsere Heiratslinien und meine lächerliche B.A. Mütze und mein Zertifikat weg, die in meinen Augen auch Abzeichen bürgerlicher Knechtschaft waren, die wir nun für immer ablegen sollten. Wir waren bereit, unsere britischen Pässe gegen sowjetische einzutauschen, ja, wir freuten uns sogar darauf, dies zu tun. Ich hatte auch keine Angst, nicht mehr auf der Gehaltsliste des Guardian zu stehen und von freiberuflichen Einkünften abhängig zu sein, wie es Crozier vorgeschlagen hatte. Die Verbindung mit der Zeitung würde nur so lange nützlich sein, wie ich mich um einen Job und eine Bleibe in der UdSSR bemühte; danach freute ich mich darauf, die Existenz des Guardian zu vergessen. Schließlich war Kitty zu meiner großen Freude wieder schwanger, so dass unser nächstes Kind als Sowjetbürger geboren werden würde. Es schien alles wunderbar zu sein.
Malcom Muggeridge. Chronicles of Wasted Time. Vol. 1. S. 227f.