Input: Kulturmandat und Imago Dei

Ein wichtiger Aufsatz von Nathaniel Gray Sutanto zum – oft missverstandenen – Kulturmandat. Ich habe einige Aussagen daraus zusammengestellt:

  1. Zusammenhang zwischen dem Kulturmandat (cultural mandate) und der Ebenbildlichkeit Gottes

Grundlage: Wenn Gott unendlich ist, dann kann nur eine Vielfalt endlicher Geschöpfe seine Herrlichkeit wahrhaftig widerspiegeln. Wenn die Menschen Gottes Ebenbild sind, dann kann nur die Menschheit, als gemeinsame Einheit betrachtet, dieses Ebenbild besser widerspiegeln.

Auftrag: Gott übertrug vor dem Sündenfall die Aufgaben der Arbeit und der Kultivierung und zeigte damit die dem Menschen innewohnende Güte der Arbeit bei der Schaffung von Kultur. “Fruchtbar sein” und “sich vermehren” bezieht sich auf die natürliche Vermehrung der Menschen und die Arbeit, die die Natur zu ihrem Wohl kultiviert, in Übereinstimmung mit dem Gebot Gottes.

Würde und Unterordnung: Die Herrschaft bezieht sich auf die menschliche Bewirtschaftung der natürlichen Welt, die mit dem Plan Gottes in Einklang steht. Die menschliche Herrschaft ist also eine Haushalterschaft, die gleichzeitig die Würde des Menschen und seine Unterordnung unter Gott zum Ausdruck bringt.

Missbrauch und Verlust des höchsten Guts: Kulturbildung kann leicht in Anmaßung und Missbrauch ausarten, wenn wir für uns selbst bestimmen, was wir aus der natürlichen Welt machen sollen. … Die Kultivierung der Erde ist ein hohes Gut, aber ohne Gehorsam gegenüber Gottes Wort würden die Menschen nicht nur ihr eigenes Amt missbrauchen, sondern auch das höchste Gut, nämlich Gott selbst, verlieren.

2. Der Sündenfall und die allgemeine Gnade (common grace)

Kontinuität und Diskontinuität: Trotz des Sündenfalls kultiviert die Menschheit die Schöpfung weiterhin organisch und von Natur aus, aber die wahre Religion, die diese Arbeit beleben sollte, ist nicht mehr vorhanden.

Göttliches Eingreifen nach dem Sündenfall: Die Produktion von Kultur in der postlapsarischen Ordnung ist ein Hinweis auf die Gegenwart der allgemeinen Gnade Gottes: sein aufgeschobenes Urteil über die Sünder, sein Bekenntnis zur Güte der Schöpfung und der menschlichen Arbeit und seine Weigerung, die Sünder ihren tiefsten Trieben auszuliefern (Röm 1,24.26.28); schliesslich seine Gabe von erkenntnistheoretischen, moralischen und lebensspendenden Gütern an die sündigen Geschöpfe.

Ontologische Kontinuität: Da der Mensch trotz des Sündenfalls ontologisch ein Ebenbild bleibt, gründet er weiterhin Familien, verrichtet Arbeit und schafft somit Kultur. Wie Augustinus argumentierte, bilden nicht wiedergeborene Sünder daher gefallene Zivilisationen, die die irdische Manifestation der Stadt des Menschen (earthly city) bilden.

3. Klaas Schilder gegen den Begriff der allgemeinen Gnade

Inhärente Eigenschaften: Zunächst argumentiert er, dass Theologen fälschlicherweise der allgemeinen Gnade zuschreiben, was eigentlich der Natur zuzurechnen wäre. Die Zurückhaltung der Sünde und der Genuss von Kultur und lebensspendenden Gütern sind der Natur und der Zeit eigen.

Zeit des Gerichts: Die Beschreibung des Kulturgenusses nach dem Sündenfall als “Gnade” sei eine falsche Bezeichnung, da die die Situation nach dem Sündenfall durchaus als eine Zeit des allgemeinen Gerichts beschrieben werden könnte, da die Gnade der Wiedergeburt nicht unbegrenzt ausgegossen wird.

Anthropozentrisches Übergewicht: Schilder unterscheidet zwischen der allgemeinen Gnade und dem Kulturmandat, wobei er letzterem den Vorzug vor ersterem gibt, um christliche kulturelle Aktivitäten zu motivieren. Seiner Meinung nach ist die “allgemeine Gnade” eine “anthropozentrische” Lehre, denn sie konzentriert sich auf das, was den Christen nach dem Sündenfall erlaubt ist, und auch auf die Reste des Guten nach der Sünde.

4. Entgegnung auf den Einwand

Wie Kulturbildung auch durch Nicht-Wiedergeborene möglich ist: Auch wenn wir zugeben können, dass Sünder auf natürliche Weise weiterhin Kultur aufbauen werden, so ist es doch eine Frage des allgemeinen Wohlwollens Gottes, dass Sünder weiterhin die Früchte ihrer Arbeit genießen, dass sie bei ihren Versuchen, das in ihren Herzen verankerte Moralgesetz auszulöschen, nicht erfolgreich sein werden und dass sie trotz ihrer Tendenz zur egoistischen Selbsterhaltung relativ viel Freude an der Freundschaft mit ihrem Nächsten haben werden.

Relativer Friede zwischen Wiedergeborenen und Nicht-Erlösten: Ich stimme zwar zu, dass Natur und Kultur den Hintergrund für den Gegensatz bilden, aber die allgemeine Gnade befasst sich mit der Frage, warum es trotz des Gegensatzes möglich ist, dass Wiedergeborene und Nichterneuerte gleichermaßen relativen Frieden miteinander haben.

… Am Jüngsten Tag wird sich der Gegensatz eschatologisch vollziehen, so dass die Auserwählten und die Nicht-Auserwählten nicht mehr gemeinsam in derselben Kultur leben werden

5. Das Evangelium und das Kulturmandat

Wiederherstellung von Gottes Bild: Durch das Wort Gottes in Jesus lebendig gemacht, sind die Sünder aufgerufen, ihre neue Natur anzuziehen, die dem Bild Gottes nachgebildet ist (Kol 3,10; Eph 4,24). Mit anderen Worten: Der Missionsbefehl ist das Mittel, durch welches das Bild Gottes im engeren Sinn in der Menschheit wiederhergestellt wird, indem die Sünder neue Erkenntnis, Gerechtigkeit und Heiligkeit empfangen.

Muster, keine umfassende Erneuerung: Unser heutiges Kulturschaffen bringt das Reich Gottes nicht schrittweise voran, so als ob dieses Reich von Menschenhand errichtet würde. Da die ganze Welt unter dem Fluch Gottes lebt und von der Sünde befleckt ist, muss die Welt vielmehr von Gott selbst neu geschaffen und vollendet werden. Die Auferstehung gibt das Muster für den Rest der Welt vor.

… Wenn erneuerte Ebenbildträger die Kultur kultivieren und ihre Nächsten lieben, dann bezeugen sie lediglich die Richtung der nächsten Welt, und das ist nur ein verschleiertes Zeugnis für eine Welt, die sie nicht willkommen heißt. Uns ist kein linearer Erfolg versprochen, sondern Verfolgung und Widerstand.