Input: Eine Charakterisierung der menschlichen Persönlichkeit

In einer 1928 vor Studenten einer technischen Ausbildung gehaltenen Vorlesung, kürzlich in englischer Fassung erschienen unter dem Titel Personality and Worldview (hier habe ich den Kerngedanken davon wiedergegeben), fasste der Niederländer Missiologe J. H. Bavinck (1895-1964), Herman Bavincks Neffe, das Wesen der Persönlichkeit in folgende Elemente:

  • Grunddefinition: Unter Persönlichkeit verstehen wir eine organisierte Seele, die sich ihrer selbst bewusst geworden ist. 
  • Kennzeichen Einheit: Das erste Kennzeichen der Persönlichkeit ist immer ihre Einheit. Eine Seele kann insofern als Persönlichkeit bezeichnet werden, als die Kräfte in ihr miteinander in Verbindung getreten sind und sich gegenseitig durchdrungen haben.
  • Kennzeichen Selbständigkeit: Die Seele ist weiter selbstständig, von Gott geschaffen, mit ihren besonderen Funktionen, die in ihrer gesamten Natur und ihrem Wesen zu finden sind, mit Strebungen, Fähigkeiten, die wir im bewussten Leben zur Geltung kommen sehen und die wir aus diesem bewussten Leben kennenlernen.
  • Rezeptive Fähigkeit (passiv): Wie stellen wir fest, dass die Seele eine große Aufnahmefähigkeit besitzt. In unserem bewussten Leben beginnen wir dies zu sehen, indem wir direkt bemerken, dass unser Bewusstsein für viele Eindrücke aus der äußeren Welt offen steht. Es reflektiert die äußere Welt.
  • Bewahrende Fähigkeit (passiv): Zweitens können wir von der Seele sagen, dass sie aufbewahrt. … Wir begegnen ihr zum Beispiel im Gedächtnis. … … Auf eine andere Weise begegnen wir ihr im (Wieder-)Erkennen. … Die Speicherfähigkeit der Seele ist so groß, dass die Seele selbst oft nicht weiß, was sie in den Kellern des Gedächtnisses vergraben hat.
  • Verbindende Fähigkeit (aktiv): Die dritte Sache, die uns beschäftigt, ist die verbindende Kraft der Seele. … Die Seele gibt sich nie damit zufrieden, die Dinge einfach nebeneinander zu stellen. Sie muss auch die Verbindung, das Bindeglied zwischen ihnen kennen [weten]. 
  • Bewertende Fähigkeit (passiv): Die Seele geht weiter und lebt ihr eigenes subjektives Leben. Das bedeutet, dass sie auch anerkennend in die Wirklichkeit jenseits ihrer selbst eintritt.  … Sie drückt allem einen bestimmten Wert auf, sei es zum Guten oder zum Schlechten.
  • Verlangende Fähigkeit (aktiv): Die Seele verlangt nach Dingen. Das ist eine neue Kraft in ihr. Sie nimmt die Welt nicht so hin, wie sich die Dinge in ihr darstellen. Vielmehr will sie immer wieder Veränderungen in ihr herbeiführen. Sie formt die Welt nach ihrem eigenen Geschmack um. Für [die Seele] ist die Wirklichkeit noch eine Möglichkeit, aus der sie alles machen kann. 
  • Aussen und innen: Die Außenwelt wirkt durch die rezeptive Funktion auf uns ein, und wir [üben unseren Einfluss] auf die Außenwelt durch den Willen aus.
  • Tendenz Leben im Aussen: (Der eine ist) außergewöhnlich offen für die Außenwelt, so sehr, dass er fast kein Innenleben hat. Er lebt in der äußeren Welt. Er muss immer sehen, hören und Eindrücke von außen empfangen. 
  • Tendenz Leben im Innen: In allem will er nach seinen eigenen Erkenntnissen leben, nach seinen eigenen Bedürfnissen. Und er will allem seinen Stempel aufdrücken.
  • Totalität: Der Mensch ist nicht einfach die Summe der psychischen Funktionen, sondern ein zusammengewachsenes Ganzes, in dem jede Funktion einen unverwechselbaren Platz einnimmt und eine einzigartige Bedeutung hat.
  • Selbsterhaltung: (Im Menschen steckt) der Hunger nach Selbsterhaltung, nach Selbstkultivierung, nach Selbstversorgung. Er ist von Anfang an im Menschen verborgen und arbeitet in ihm wie ein Motor.
  • Gemeinschaft: Zweitens können wir auf den Hunger nach Geselligkeit, nach Sympathie, Freundschaft, Liebe verweisen.
  • Hunger nach Gott: Es scheint etwas im Menschen zu geben, das mehr sieht, das etwas Höheres will, das nicht ruhen kann, bis es das Unsichtbare, das Unendliche, das Ewige gefunden hat.