Dreifache Entfremdung

Der Konsens ist klar: Die Welt ist im Grunde ein Konstrukt. Menschliches Wissen ist zunächst einmal Interpretation. Es gibt keine perspektiven-unabhängigen Tatsachen. Jeder Akt der Wahrnehmung und Erkenntnis ist kontingent, vermittelt, orts- und kontextgebunden, vollkommen durchdrungen von Theorie. Die menschliche Sprache verfügt über keine Grundlage in einer von ihr unabhängigen Wirklichkeit Bedeutung wird erst vom Geist hervorgebracht, sie wohnt nicht irgendeinem Objekt in einer Welt jeneseits des Geistes inne, denn es ist unmöglich mit dieser Welt in Kontakt zu treten, ohne dass diese Begegnung durch und durch von der Beschaffenheit des Geistes geprägt ist. Es herrscht eine tiefgreifende und grundlegende Unsicherheit, denn am Ende ist das, was als Wissen und Erleben gilt, blosse Projektion.

So wurden die von Kopernikus initiierte kosmologische Entfremdung des modernen Bewusstseins und die von Descartes initiierte ontologische Entfremdung vervollständigt durch die von Kant initiierte erkenntnistheoretische Entfremdung; ein dreifaches Gefängnis moderner Entfremdung.

Richard Tarnas. Das Wissen des Abendlandes. Albatros: Düsseldorf 2006. (525)

Der moderne Mensch: Grenzenloses Selbstvertrauen vs. lähmende Bedeutungslosigkeit

Das westliche Denken durchlief im Laufe der Moderne eine bemerkenswerte Dialektik. Am Beginn stand ein fast grenzenloses Vertrauen in den Menschen: in seine eigenen Kräfte, in sein spirituelles Potenzial; in seine Fähigkeit, sicheres Wissen erlangen und die Herrschaft über die Natur immer weiter ausdehnen zu können; in sein positives Schicksal. Am Ende befand sich der Mensch in einer Situation, die sich nicht selten durch die genau entgegengesetzten Merkmale auszeichnete: ein lähmendes Gefühl der eigenen metaphysischen Bedeutungslosigkeit und persönlichen Nutzlosigkeit; den Verlust des Glaubens; die Ungewissheit des Wissens; eine wechselseitig zerstörerische Beziehung zur Natur; eine intensive Ungewissheit, was die Zukunft des Menschen anbetraf. In den vier Jahrhunderten der Existenz des modernen Menschen hatten sich Bacon und Descartes in Kafka und Beckett verwandelt.

Richard Tarnas. Das Wissen des Abendlandes. Albatros: Düsseldorf 2006. (496)

Wie bringt man Jungs zum Lesen?

Diese Frage stellte (einmal mehr) Thomas Spence, Vater von sechs Jungen. Er schreibt im Wall Street Journal:

The secret to raising boys who read, I submit, is pretty simple—keep electronic media, especially video games and recreational Internet, under control (that is to say, almost completely absent). Then fill your shelves with good books.

Hier geht es zum Artikel.

Auf diesen Artikel stiess ich durch www.therebelution.com. Es ist zur Zeit eine Diskussion zum Thema im Gang.

We need to get back to reading the good, classic stuff. Stuff that makes you think. Stuff with morals. Stuff that encourages greatness out of youth, not pulls towards mediocrity.

Lernerlebnis Nr. 96: 5 statt 1,4.

Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Strukturen des geordneten Kosmos, der seine Ränder aufweist, über die das Fremde, nicht Einzuordnende, eindringt. Dieses muss integriert werden, und dies kann auch durch Ausschluss geschehen.

So weit die Soziologion Mary Douglas. Das erfahren wir fast täglich, wenn wir als sechs- (bald sieben-)köpfige Familie unterwegs sind. Die einen haben Mitleid (vor allem mit meiner Frau), die anderen finden’s (wahrscheinlich) unverschämt, wieder andere stellen sich (wahrscheinlich) gedanklich bereits die aus dem Kinderreichtum hervorgehende Verwahrlosung vor. Die Schweizer lieben das Mittelmass. Das sind nun einmal 1,4 Kinder pro Familie…

Lernerlebnis Nr. 95: Eure Gesichter sind mir lieber.

„Willst du Süsses oder Saures?“ Das letzte Mal habe ich einige Überlegungen angestellt, wie wir die Kinder empfangen würden, die an Halloween unserer Türe klingelten. So empfingen wir zwei Mädchen (die schon das Jahr zuvor gekommen waren). Sie gaben sich gleich mit ihrem Namen zu erkennen. Wir gaben ihnen eine Kleinigkeit mit und schrieb ihnen einen persönlichen Brief – mit dem Hinweis, dass jetzt die besten Jahre ihres Lebens bevorstünden.

Drei Irrwege in der Erziehung

Wie wir unsere Kinder sehen bestimmt die Art und Weise unseres Umgangs mit ihnen. Die Bibel sagt, dass sie Sünder und gleichzeitig Träger von Gottes Ebenbild sind. Brad Baugham nennt drei Irrwege der Kindererziehung, die von der Missachtung dieser beiden Aspekte ausgehen:

  • moralistic behaviorism (do the right things)
  • Christianized determinism (give them the right things—friends, music, places, catechism, education, etc.)
  • grace-based libertarianism (let them do anything)

The problem with all of these is that none has much need for a bloody cross or an empty tomb.

Warum uns die Puritaner heute viel zu sagen haben

Ich begann kürzlich die Werk von “A Quest For Godliness – The Puritan Vision Of The Christian Life” von J. I. Packer zu lesen. Er beschreibt darin, warum uns die Puritaner viel zu sagen haben. Einige Weisheiten aus der Einleitung dieses Buches:

Regular discursive meditation … in applying spiritual truth to yourself, as well as turning that truth into praise is a vital dicipline for spiritual health. … God knows, I am a poor practionier of this wisdom, but when my heart is cold I do at least know what I need.

The Purtians have taught me to see and feel the transitoriness of this life, to think of it, with all its richness, as essentially the gymnasium and dressing-room where we are prepared for heaven, and to regard readiness to die as the first step in learning to live.

All theology is also spirituality. … If our theology does not quicken the conscience and soften the heart, it acutally hardens both; if it does not encourage the commitment of faith, it reinforces the detachment of unbelief; if it fails to promote humility, it inevitably feeds pride.

Ich liebe Packer, nicht nur weil es ein Genuss ist ihn zu lesen, sondern weil er solide akademische Forschung immer mit dem persönlichen geistlichen Leben verbindet.

An Vergangenem rühren – ein Auge verlieren…

… Vergangenes vergessen – beide Augen verlieren!

So schreibt der Schriftsteller Alexander Solschenizyn (1918-2008) am Anfang seines Klassikers “Archipel Gulag”. Er wurde in den letzten Kriegsmonaten des Zweiten Weltkriegs von der russischen Spionageabwehr verhaftet und verbrachte darauf einige Jahre in einem Sonderlager.

Sein Buch ist ein “Versuch einer künstlerischen Bewältigung”. Er schreibt im Rückblick, dass er gelernt habe

meine dort verbrachten elf Jahre nicht als Schande, nicht als verfluchten Alptraum zu verstehen, sondern jene hässliche Welt beinahe zu lieben, sondern jene hässliche Welt beinahe zu lieben…

Alexander Solschenizyn. Der Archipel Gulag. Scherz Verlag: Bern 1974.