Zitat der Woche: Die Kinder sollen das untereinander ausmachen

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Genau dieses Verhalten beobachte ich in unseren Breitengraden (Hervorhebungen von mir):

Vor einiger Zeit sprach ich mit einer Mutter, deren Tochter in die Internationale Schule geht. Sie erzählte mir, wie sehr ihre Tochter unter Mobbing litt. So sehr, dass sie die Schule verlassen wollte. Die Mutter erzählte, dass ihre Tochter nicht das einzige Mädchen sei, das in der Klasse Mobbing ausgesetzt ist. Rädelsführerin sei tatsächlich nur ein Mädchen, das die anderen Mädchen der Klasse mit einem ausgeklügelten System gegeneinander ausspielte. Keines der Mädchen konnte oder wollte sich dagegen wehren, keine der betroffenen deutschen Eltern hatten mit einem Lehrer, einer Lehrerin, dem Leiter der Middle School oder dem Direktor gesprochen. Denn bei uns gilt immer noch der Leitsatz, dass Kinder so etwas untereinander ausmachen müssen. Oder es herrscht unter Eltern die Angst, dass Beschwerden beim Lehrer anschließend am Kind ausgelassen werden. Hätten sich die Mütter oder Väter an die Schule gewandt, wäre das Problem höchstwahrscheinlich sehr schnell behoben worden, denn angelsächsische Pädagogik bietet, was deutsche Pädagogik nicht annähernd vermag. Kommt angelsächsische Erziehung zum Einsatz, richtet sich die Vorgehensweise des Erziehers ausschließlich an den Kindern aus, ohne die Eltern einzubeziehen. Die Korrektur geschieht auf pragmatische Art und Weise, garantiert sofortige Maßnahmen, die sich auf die Problemsituation konzentrieren, ohne dass Informationen missbraucht und »Informanten« verraten werden. »Petzen« ist hier also erwünscht! Dem mobbenden Mädchen oder auch Jungen wird vor Augen geführt, wie sich ihr oder sein Verhalten anfühlt und welches Leid sie damit anderen zufügen. Die Betroffenen dürfen den Spieß in Zusammenarbeit mit dem Klassenstufenleiter umdrehen und dem intoleranten Mädchen oder Jungen zeigen und erklären, worunter sie leiden. Gleichzeitig erfährt das Mädchen oder der Junge, welche Konsequenzen sie zu tragen haben, wenn sich ihr verletzendes Verhalten nicht ändert. Diese Kombination von Bewusstmachen und zur Verantwortung Ziehen hatte in der Internationalen Schule immer Erfolg. Deutsche Eltern hingegen sind oft der Meinung, dass sie mit dem Kindergarten oder der Schule nicht sprechen sollten, da dies letztlich dem Kind schaden könnte. Das geht so weit, dass Eltern lediglich zu Hause beschwichtigen, aber nicht wirklich helfen. Sie überlassen das Kind dieser Stresssituation und retten sich in die Vorstellung, dass sich die Kinder selbst helfen müssen. Aber Kinder sind doch nicht in der Lage, derartige Situationen selbst aufzulösen, wo selbst Erwachsene oft hilflos sind! Wie also kann man das vom eigenen Kind verlangen? Und so geschieht oft, was nicht geschehen sollte: Nach langer Frustration und großem Kummer geht das Kind lieber auf eine andere Schule, als dass es die Mobbing-Situation erfolgreich und den Umständen entsprechend positiv auflöst. Die Eltern versäumen es, die Chance zur Wiederherstellung des kindlichen Selbstbewusstseins zu ergreifen, und bestärken das Kind in seiner Hilflosigkeit. Es wird vielleicht viel geredet, aber wenig bis nichts getan, und oft gehen die Eltern einer aktiven Konfliktlösung aus dem Weg.

Isabelle Liegl. Albert Wunsch. Wo bitte geht´s nach Stanford?: Wie Eltern die Leistungsbereitschaft ihrer Kinder fördern können. Beltz, 2017. (54-56)