Zitat der Woche: Die Kontinuität zwischen Neuprotestantismus und dialektischer Theologie

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Mit Bezug auf Rendtorffs «Kirche und Theologie» schreibt Stefan Holtmann in seinem Aufsatz «Karl Barth als Theologe der Neuzeit» (in: Karl Barth als europäisches Ereignis)

Um die Theologie selbst der historischen Relativität zu entheben, um ihrer zeitgenössisch relativierbaren radikalen Kulturkritik einen Ort jenseits des etablierten Wissenschaftssystems zu geben, entfalteten die dialektischen Theologen aus der Offenbarungswirklichkeit einen Kirchenbegriff, der innerweltlich, d.h. geschichtlich konturlos bleiben und allein aus der aktualen Offenbarungswirklichkeit seine Wirklichkeit empfangen solle. Nur so lasse sich der Eintritt der Offenbarung, in deren Wirklichkeit sich nunmehr auch die Theologie selbst verorte, in die Geschichte denken. Recht verstanden verdankt sich die dialektische Theologie damit der „Krisis des Historismus“, sie ist Ausdruck des Versuchs, theologischem Denken einen dem Relativismus entzogenen Ort zu geben.

«Der Schritt zur Offenbarung […] erscheint Barth als der Schritt in die Geschichte, die Welt des Menschen, seines Anteils an der Offenbarungswirklichkeit, also in jene Geschichte, der jede theologische Relevanz streitig zu machen identisch ist mit dem Selbstverständnis der dialektischen Theologie. Deshalb steht der Schritt zur Offenbarung unter dem Gebot, die prinzipielle Andersartigkeit Gottes nicht nur in ihrer Voraussetzung, sondern im Vollzüge der Offenbarung zu definieren.»

Bleibt die Theologie Barths damit den Problemen ihrer Zeit verhaftet, so zeige dies, „daß die Situation des Christentums und so auch der Theologie in ihr nicht schon dadurch eine andere wird, daß man sich des in ihr angelegten Horizontes theologischen Denkens entschlägt“. (333-334)

In Rendtorffs „Theorie des Christentums“ wird die Kontinuität zwischen Neuprotestantismus und dialektischer Theologie auf systematisch höherer Ebene näher entfaltet. Hier wird nicht nur ein gemeinsamer Problemhorizont neuzeitlichen Denkens, der Troeltsch und Barth verbindet, nachgezeichnet, sondern darüber hinaus ein durch Barths Denken erreichter konstruktiver Fortschritt der neuzeitlichen Theologiegeschichte rekonstruiert. Rendtorff legt Versuche einer Deutung der Theologie Barths vor, die in dieser – den Missverständnissen des „Barthianismus“ gegenüber – keineswegs die Rückkehr zum „eigentlichen“ Thema oder zur „Sache“ der Theologie sehen, sondern eine Gestalt neuzeitlicher Theologie „auf der Höhe der Zeit“. Dabei ist es Rendtorff durchaus bewusst, dass seine Deutung die Theologie Barths „gegen den Strich ihres Selbstverständnisses bürste“. Den Ausgangspunkt bildet nun Barths Rede von der „Subjektivität“ und „Freiheit“ bzw. „Autonomie“ Gottes. Die Rede von Gott als eines autonomen Subjekts lasse sich allein vor dem Hintergrund des neuzeitlichen Autonomieverständnisses erklären. Die am Orte des individuellen Subjekts problematisch gewordene Freiheit konstruiere Barth durch das Subjekt Gott als „radikale Autonomie“. Jenseits der geschichtlichen Bedingtheit und Relativität des individuellen Subjekts eröffne sich am Ort des Gottesbegriffs die Möglichkeit, der Wirklichkeit von Freiheit als Vorgegebenheit des menschlichen Lebens Ausdruck zu verleihen. Recht verstanden bleibt die Rede von der Freiheit Gottes damit aber konstitutiv auf die Freiheit des Menschen bezogen und stellt eine notwendige Auslegung des Bewusstseins von Freiheit dar. (334-335)

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