Input: Die Versklavung an die innere Stimmigkeit

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Meine Frau hat mich auf einen erschreckenden wie entlarvenden Artikel über eine 18-jährige Frau hingewiesen. Die Interviewte bringt das, was ich kürzlich in «Die Jagd nach der falschen Freude» auszudrücken suchte, schonungslos ehrlich auf den Punkt. Hilfreich ist auch der Blick zurück in die Kirchengeschichte: Was ist Glück? Weshalb streben Menschen nach Glück?

Ich war lange untergewichtig und konnte einfach nicht zunehmen. Ich hatte irgendwie nie Hunger und ass immer nur kleine «Vogelportionen». Ich wurde wegen meiner dünnen Figur gemobbt und fühlte mich überhaupt nicht wohl in meinem Körper. Mit 15 wollte ich etwas ändern und bin das erste Mal ins Gym gegangen. Das hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Es geht a) um das eigene Gefühl und b) um die Aussenwahrnehmung. (Ich vermute, dass beide einander gegenseitig beeinflussen.)
Das Unwohlsein (Diagnose) löst Aktivität (Lösung) aus.
Ich begann, sechs- bis siebenmal in der Woche Krafttraining zu machen, mein Körper nahm ganz neue Formen an, ich nahm extrem an Muskelmasse zu, hatte endlich Hunger und verspürte ein neues Selbstwertgefühl. Ich liebe mein Training, es hat alles verändert. Das «Zielgefühl» ist das Selbstwertgefühl («endlich bin ich jemand»). Die Beziehung zum Ermöglicher (Training) wird als «Liebe» bezeichnet («es gibt mir das, was ich wünsche»).
Wie hast du dich in der Woche ohne Sport gefühlt? Ich war energielos und irgendwie schlecht drauf, ich hatte plötzlich so viel Zeit und wusste gar nicht recht, was ich mit mir anfangen soll. Zudem habe ich 4 Kilo abgenommen, was zu meinen grössten Ängsten im Vorfeld gehörte. Ich habe Pickel bekommen und meine Psyche war im Eimer. Was hat dir das Experiment gezeigt? Ich war unendlich froh, als ich endlich wieder trainieren gehen durfte. Ich fühle mich einfach besser, wenn ich im Gym war. Der Suchtzyklus beginnt mit dem schlechten Gefühl und steigert sich mit der wahrnehmbaren Veränderung des Äusseren. Die Kompensation durch die (Über-)Aktivität «löst» die innere Spannung. Das Zielgefühl wird wieder erreicht. Die Sucht frisst auf, sie nimmt Zeit, Geld, Kraft. Ein Mensch geht in der Sorge um sich selbst auf (und unter).
Du verbringst normalerweise bis zu drei Stunden pro Tag im Gym. Ist das nicht zu viel? Ich weiss, dass ich extrem bin und arbeite auch an meinem Gleichgewicht. Ich gehe einmal pro Woche zu einer Therapeutin, um nicht in eine Sportsucht zu fallen. Wie merkst du, dass du an Sportsucht leiden könntest? Ich gehe auch ins Gym, wenn ich mich krank fühle oder Fieber habe, und ich war auch schon mit einer gebrochenen Rippe trainieren. Ich schaue zudem immer, bevor ich in die Ferien fahre, ob es in der Nähe ein Gym hat. Daran muss ich arbeiten. Ich will, dass ich ab und zu auch mal einen trainingsfreien Tag ohne schlechtes Gewissen einlegen kann. Die Folgeaktivität (Therapie) offenbart das latent lauernde Ungleichgewicht. Der Rote Faden dieses Interviews bleibt: Die Versklavung an die innere Stimmigkeit.

Besonders hilfreich zur Deutung aus christlicher Weltsicht war für mich eine Vorlesung des Sportseelsorgers Ashley Null: Der westliche Kreislauf von Leistung/Versagen.

Ich habe Nulls Buch “Real Joy” vor einigen Jahren rezensiert.