Corona in Perspektive (7): Unverbundenheit und warum der Staat kein allmächtiger Retter ist

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Es fällt mir schwer, diese Überlegungen in verständliche Worte zu fassen. Ich stelle sie unter das Stichwort «Unverbundenheit». Es geht um einen inneren «Schalter» in der DNA unserer Gesellschaft. Dieser ist in den kollektiven «Tiefenschichten», der Mentalität von uns Westeuropäern tief verankert. Er gehört – um nochmals eine Metapher zu gebrauchen – zur «Grundkonfiguration».

Nancy Pearcey beschreibt die Ursache der Unverbundenheit in ihrem Buch «Total Truth» (S. 137-142) ausgehend von der geistesgeschichtlichen Wende bei J.-J. Rousseau (1712-1778). Der Kern: Soziale Beziehungen sind in letzter Instanz nicht real, sondern abgeleitet von der individuellen Wahl. Im «Ur-Zustand» war der Einzelne unverbunden und selbstbestimmt. (Dies steht im Widerspruch zur biblischen Weltanschauung, die den Ursprung als die Verbindung eines Mannes mit einer Frau definiert; die Familie bildet die soziale Grundeinheit.) Soziale Konventionen sind aus dieser Perspektive letztlich künstlich und bedrückend. Die traditionellen Institutionen von Familie und Kirche tragen aus dieser Sicht massgeblich zu dieser Einengung bei.

Die Erlösung bzw. Befreiung kommt durch den Staat, der diese Bande durchtrennen oder zumindest übersteuern kann. Im staatlichen Gebilde handelt es sich um einen letztlich freiwilligen Zusammenschluss von autonomen Individuen. Wichtige Denker der Vor-Aufklärung, John Locke (1632-1704) und Thomas Hobbes (1588-1679), spurten den Gedankengang einer atomistischen Grundkonstitution der Gesellschaft vor. Der Staat gelangte dadurch zu einer Schlüsselstellung. In der Französischen Revolution zeigten sich erstmals die (grausamen) Folgen dieser Macht auf nationaler Ebene. 

Pearcey verweist auf Hannah Arendt und deren Beobachtung, dass isolierte Individuen am anfälligsten für totalitäre Kontrolle seien. Sie schlussfolgert daraus: Die individuellen Rechte werden am wirkungsvollsten durch die Rechte von Gruppen wie Familie, Kirchgemeinde, Unternehmen und Vereine geschützt. (Die dezentrale politische und wirtschaftliche Struktur der Schweiz, das haben verschiedene Denker hervorgehoben, ist diesbezüglich ein kluger Schutz.)

Was hat dies nun mit der aktuellen Corona-Krise zu tun? 

  1. Der gefährliche Ausbau der staatlichen Macht: Es ist zu befürchten, dass der Allgemeinplatz «Solidarität» nur noch über das Vehikel Staat noch erreicht werden kann. So angenehm riesige staatliche Finanzpakete im ersten Moment klingen: Sie verleihen ihm (noch) mehr Einfluss und Macht. Notverordnungen wandern über die Zeit in die Gesetze.
  2. Die Brüchigkeit der sozialen Basis: Die Definition von Identität kommt dem Einzelnen zu. Er kann und soll sie wählen und immer wieder neu definieren. Deshalb wird es nötig, dass der Einzelne seine Rolle innerhalb der einzelnen Institutionen immer wieder auflösen und neu definieren kann. Gerade in Krisenzeiten macht dies die wichtigste soziale Grundeinheit, die Familie bzw. den Hausstand unglaublich anfällig für Brüche und Auflösung.

Der Blackout-Experte Saurugg weist interessanterweise gerade auf die beiden Institutionen Familie und Kommune im Notfall hin: Die Vorsorge der einzelnen Familie und die lokale Bildung von Selbsthilfe-Basen. Ohne diesen doppelten Kit ist ein Staat höchst instabil.