Zitat der Woche: Indirekte Identität der Bibel? (Nein.)

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Hierin steckt ein Gutteil der Problematik der Neo-Orthodoxie. Dasselbe Verständnis wird heute in vielen evangelikalen Gemeinden unbesehen übernommen.

Die Bibel als solche, als Menschenwort, ist nicht die Offenbarung; Menschenwort und Gotteswort sind zweierlei und grundsätzlich nicht zu vereinen. Aber das zweite ist zugleich zu sagen. Anders als durch das Medium der Heiligen Schrift ist die Offenbarung nicht zu erkennen, denn ‘wir haben die Offenbarung nicht an sich, sondern in der Bibel’ (zit. Unterricht in der christlichen Religion, 263). In dieser indirekten Autorität ist die Bibel das Prinzip der Kirche, steht ihr also gegenüber … und insofern ist die Bibel Massstab und Norm für alle kirchliche Verkündigung, Lehre und alles Handeln.
Die indirekte Autorität, die historische Forschung ohne Einschränkungen zulässt, weil es ja Menschenwort ist, das die Offenbarung bezeugt, ist aber zu unterscheiden von einer direkten Identität, in der die Bibel selber zur Offenbarung wird – das geschieht in der Verbalinspirationslehre der altprotestantischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts. Die indirekte Autorität ist aber auch zu unterscheiden von einem rein historischen Bibelverständnis, das die Offenbarungsmittlerfunktion der biel a priori ausschliesst, weil sie nur als Produkt ihrer Autoren interpretiert wird. Im Protest dagegen sieht Barth das relative Recht der Verbalinspirationslehre: ‘Die Texte gehen uns nicht als ‘Quellen’ an.» (zit. Das Schriftprinzip der reformierten Kirche, 516)
(Das bedeutet eine indirekte Erkenntnismöglichkeit für den Menschen.) Durch die geschichtliche Bedingung der Autorität der Kirche (Kanon, Bekenntnisse, Situation) und der Freiheit des einzelnen (historische Forschung, eigene Denkstrukturen, Situation) erfolgt allein der Zugang zur ‘indirekten Identität’ der Bibel. Immer bleibt in all dem natürlich als Voraussetzung bestehen, dass Gott alle Erkenntnis seiner selbst durch den Heiligen Geist bewirkt, dessen Wirken nicht empirisch zu konstatieren ist, sondern nur zu bekennen.
… (Von der Bibel als dem Wort Gottes kann) nicht losgelöst von dem einen Wort Gottes, Jesus Christus, die Rede sein. ‘Weil und indem Gott sich offenbart, gibt es ein Wort Gottes, gibt es auch heilige Schrift’. Nur von diesem Gefälle her kann die Bibel Wort Gottes werden und sein. Aus sich selber heraus ist sie Menschenwort. Aber in ihrer Struktur als Zeichen, das hinweist auf das eine Wort Gottes, ist sie mehr als Menschenwort.

Georg Plasger. Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth. Neukirchen, 2000, S. 39-43

P. S. Die pauschale Benennung einer “protestantischen Altorthodoxie” ist nicht haltbar, siehe dazu Richard A. Muller. Post-Reformation Reformed Dogmatics