Input: Subjektivität in der theologischen Reflexion

In einer Zeit der gewohnheitsmässig subjektiven Reflexion in theologischen Angelegenheiten (“ich denke”, “meiner Meinung nach”, “ich spüre, dass…”) ist es doppelt wichtig, den Anteil der Subjektivität festzustellen. Cam Clausing reflektiert anhand von Herman Bavinck in Theology and History in the Methodology of Herman Bavinck: Revelation, Confession, and Christian Consciousness (Oxford University Press, 2023, S. 189ff):

Die theologische Reflexion beruht nicht auf subjektiver Erfahrung. Sonst wäre die Theologie nicht mehr als eine Privatmeinung und keine Wissenschaft. Dennoch ist es “die Lehre der Schrift, dass die objektive Offenbarung in der subjektiven Erleuchtung vollendet wird”. (RD 1:92) Im Prozess der theologischen Reflexion bleibt derjenige, der den Akt der Reflexion vollzieht, ganz Mensch. Er bleibt bei alldem ein Mensch mit eigener Veranlagung, Erziehung und Einsichten, die ihnen eigen sind. Der Glaube selbst entsteht nicht in jedem Menschen auf dieselbe Weise, noch hat dieser in allen die gleiche Kraft. Die individuellen Fähigkeiten des Verstandes unterscheidet sich in Schärfe, Tiefe und Klarheit, auch der Einfluss der Sünde bleibt im menschlichen Bewusstsein und Verstand wirksam. Infolge all dieser all dieser Einflüsse trägt die theologische Lehre weiterhin einen persönlichen Charakter.

Die Person, die theologische Überlegungen anstellt, bringt natürlich ihre Persönlichkeit, ihr “christliches Bewusstsein”, in diese Reflexion ein. Dies ist nicht von Natur aus etwas Schlechtes. Es ist ein Teil des Menschseins. Für Bavinck bedeutet es jedoch, dass jede dogmatische Formulierung bis zu einem gewissen Grad vorläufig ist insofern, als jede nachfolgende Generation ihre Dogmen und  theologische Aussagen ne überdenken muss. Jede Generation muss eine freie Entscheidung darüber treffen, ob sie die die überlieferten Bekenntnisse zu akzeptieren bereit ist.

Ein weiterer Grund für diesen Glauben an die Entwicklung der theologischen Reflexion betrifft die dem Menschen innewohnende Geschöpflichkeit. Die Endlichkeit des Menschen und Unendlichkeit Gottes impliziert einen unendlichen Vorrat an Material für theologische Reflexion. Für Bavinck gab es eine Seite dieser Studie, die immer unvollständig sein wird, weil Gott nicht in der Macht des Menschen liegt; der Mensch kann Gott nicht begreifen (comprehend). Das hiesse, Gott in Teile zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen. Da dies unmöglich ist, wird das Wissen der Geschöpfe über Gott immer vorläufig sein. “Obwohl (partielles) Wissen in der Theologie möglich ist, gilt dies nicht für das (umfassende) Verstehen”. (RD 1:619)

Dieses Prinzip der theologischen Methodologie, das christliche Bewusstsein, das das subjektive Element der theologischen Methodologie ist, spielt für Bavinck nicht nur in die Idee der Entwicklung hinein. Es berührt auch das Wesen der Theologie selbst. Wenn Theologie “eine Theodizee, eine Lobrede auf alle Tugenden und Vollkommenheiten Gottes, ein Hymnus der Anbetung und Danksagung, ein ‘Lobpreis Gottes in der Höhe’ [δοξα εν ηψιστοις Θεω] (Lk 2,14; RD 1:112), dann folgt daraus zwingend die Unfähigkeit zu begreifen.