Damit aus Buben Männer werden (8): Sinnvolles Risiko nehmen.

In letzter Zeit ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen: Viele junge Frauen schicken ihre Freunde in die Wüste, weil sie nach einer Zeit bemerken, dass sie Buben und keine richtigen Männer sind. Betrachte ich in meinem Umfeld zerbrochene Beziehungen unter dieser Annahme, erscheinen mir die Verläufe in anderem Licht. Die Frauen unternehmen die Initiative, sprich sie angeln sich einen Mann. Damit ist bereits die Spur gelegt: Die selbstbewussten Mädchen suchen sich einen sympathischen Jungen aus. Diese lächeln verlegen, überlegen es sich hin und her. Über dem vierten  Bier reden sie vielleicht mit einem Freund beiläufig darüber. Plötzlich sind sie dann mit einem Mädchen zusammen. Doch irgendwie werden solche unsicheren Buben über die Zeit den Mädchen lästig. Sie treffen keine Entscheidungen, brauchen ihre Spiele, buchen nur zögerlich Urlaub, kaufen sich einen alten BMW mit verchromten Auspuff und fühlen sich auf der Wiese mit dem Fussball am wohlsten. Die Jungs nehmen Risiken: Sie schlagen sich im Lift besoffen den Kopf an. Sie unterziehen sich der dritten Meniskusoperation – dem Fussball wegen.

Ich schlage einen alternativen Verlauf des jungen Erwachsenendaseins vor: Als Teenager lernen die Jungen wirklich harte Dinge zu tun. Egal ob sie selber Tiere halten, im Quartier sich das Taschengeld mit sinnvollen Projekten aufbessern oder gar ein eigenes Projekt im IT-, Grafik- oder Nachhilfebusiness aufziehen – sie übernehmen Verantwortung und tragen Risiko. Sie lernen hart, um sich die nötigen Fähigkeiten anzueignen, die im Beruf ihrer Wahl von Nöten sein werden. Sie setzen es sich zum Ziel, so bald wie möglich eine Frau zu erobern. Kein unsicheren Anfragen und ewigen Freundschaften, die nach einem oder mehreren Jahren auseinander brechen, sondern eine ernsthafte Sache. Sie unternehmen den ersten Schritt, indem sie einer jungen Frau eine ernsthafte Avance machen. Will sie in einer sinnvollen Frist prüfen, ob sie mit ihm das Leben verbringen will? Wenn die Sache klar ist, heiratet er sie. Er ist bereit, für die nächsten Jahrzehnte auf Schlaf, Raum, teuren Urlaub und manch anderes zu verzichten – um einige Kinder für das Leben tüchtig zu machen. Ich träume davon, dass eine neue Generation in diesem Sinne bereit ist (sinnvolles) Risiko zu tragen. Viel mehr, als es sich ihre Eltern und Grosseltern gewohnt waren.

Damit aus Buben Männer werden (7): Etabliere eine Bücherkultur.

Der nächste Lösungsvorschlag klingt in unserem Zeitalter schon fast utopisch: Wir sollen unsere Söhne zu echtem Hirnfutter, sprich lebendigen Büchern, hinführen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass die Konkurrenz zum Bildschirm hoch ist. Darum glaube ich, dass eine Bücher-Kultur nur über Jahre im Elternhaus etabliert werden kann. Einige Initiativen, die ich unternehme, sind: Bücher sind überall in der Wohnung verfügbar. Darunter sind solche, die sich die Kleinen immer wieder fischen, selber angucken und sich erzählen lassen wollen. Buch und Wort haben zudem einen hohen Stellenwert im ganzen Tagesablauf: Während den Mahlzeiten lese ich kurze Stücke (aus der Bibel) vor. Meine Frau beginnt den Tag oft im Kreis – mit Büchern. Abends lesen wir vor oder lassen die Älteren vorlesen. Und bei meinem Ältesten habe ich begonnen, jedes einzelne Buch zum Selberlesen sorgfältig auszuwählen. Ich habe eine Auswahl aus der eigenen Jugend behalten, die ich ihm Stück für Stück herausgebe. Wir haben über die Jahre eine Vorlesekultur etabliert, so dass er von selbst zu mir bekommt und von dem erzählt, was er gelesen hat. Es gibt so viele verschiedene Arten von Büchern: Biographien, Sachbücher, Märchen, Sagen, Fabeln, Romane, historische Romane, thematische Bildbände. Manche davon haben wir günstig in Brockenhäusern erstanden. Und für den jüngeren Leser gibt es kurze Lesehefte (ich schätze besonders die SJW-Heftchen). Wenn die Lese-Erlebnisse mit Zeichnungen und eigenen Aufsätzen verbunden werden, um besser. Eine gute Alternative sind zudem Hörbücher. Meine Jungs sitzen stundenlang davor und hören gebannt zu. Ich glaube, dass wir diese Bücherkultur mit Fernseher nicht aufrechterhalten könnten. Die Frau eines Freundes hat zudem begonnen, Sommer-Lese-Wettbewerbe mit Jungen durchzuführen. Warum nicht?

Ist Jesus unser grösster Schatz – oder lieben wir ihn wegen seiner Gaben?

Die Welt wimmelt von Millionen unbekehrter Menschen, die behaupten, an Jesus zu glauben. Es nützt nichts, wenn man diesen Menschen sagt, sie sollten an Jesus glauben. Dieser Satz ist eine leere Phrase. Meine Verantwortung als Verkündiger des Evangeliums und als Lehrer in der Gemeinde Jesu besteht nicht darin, lieb gewordene biblische Ausdrücke immer wieder zu wiederholen, sondern die Herzen der Menschen mit der Wahrheit der Bibel zu erschüttern. In den Strassen meines Wohnviertels ‘glaubt’ jeder Betrunkene an Jesus. Auch Drogenhändler glauben an Jesus. Schnorrer, die vier Jahrzehnte lang keine christliche Gemeinde von innen gesehen haben, ‘glauben’ an Jesus. Deshalb verwende ich andere Wörter, um zu entschlüsseln, was es bedeutet, zu glauben. In den letzten Jahren frage ich immer wieder: ‘Nehmen Sie Jesus als Ihren kostbarsten Schatz an?’ – nicht nur als Erlöser (jeder will der Hölle entfliehen, aber nicht jeder will bei Jesus sein), nicht nur als Hernn (denn viele könnten sich auch notgedrungen vor ihm beugen), sondern die entscheidende Frage lautet: Ist Jesus Ihnen kostbarer als alles andere?

John Piper, Sehnsucht nach Gott, 3L Verlag: Friedberg 2003. (53)

An anderer Stelle schreibt Piper:

They receive him simply as sin-forgiver (because they love being guilt-free), and as rescuer-from-hell (because they love being pain-free), and as healer (because they love being disease-free), and as protector (because they love being safe), and as prosperity-giver (because they love being wealthy), and as creator (because they want a personal universe), and as Lord of history (because they want order and purpose). But they don’t receive him as supremely and personally valuable for who he is.

John Piper. Think! Crossway: Wheaton 2010. (72)

 

Wenn der Ast meint, er hätte den Baum nicht mehr nötig

Eine ernste Warnung des Theologen Herman Bavinck (Reformed Dogmatics, Vol. 1, S. 83): Wer sich vom Leib Christi, der über Jahrhunderte die christliche Lehre weiterentwickelt hat, isoliert, steht in Gefahr die Wahrheit des christlichen Glaubens zu verlieren. Er gleicht einem Ast, der meint, den Baum nicht mehr nötig zu haben:

Whoever isolates himself from the church, i.e., from Christianity as a whole, from the history of dogma in its entirety, loses the truth of the Christian faith. That person becomes a branch that is torn from the tree and shrivels, an organ that is separated from the body and therefore doomed to die. Only within the communion of the saints can the length and the breadth, the depth and the height, of the love of Christ be comprehended (Eph. 3:18).

Damit aus Buben Männer werden (6): Wir muten ihnen etwas zu.

Als Christ ist es mir ein Anliegen, nicht bei der Analyse stehen zu bleiben, sondern – im Wissen, dass ich die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen habe – einige Antworten zu formulieren. Als Kontrast zur Überbehütung schlage ich vor: Unseren Söhnen etwas zuzumuten. Dazu ein Beispiel aus meinem Alltag. Für ein Fest in unserer Umgebung wollten meine Jungs Krachmandeln herstellen, um sie zu verkaufen. Am Samstagmorgen richtete meine Frau die Produktion ein und instruierte den Nachwuchs über den Ablauf. Dieser hörte jedoch nicht richtig zu, und es galt dann den Zucker aufzukochen. Hilflos stand der junge Mann am Herd und bettelte, flehte, rief und zankte, dass ihm doch jemand zu Hilfe komme. Es blieb beim Bescheid: „Ich habe es dir gezeigt, jetzt lernst du es.“ Es galt dem Reflex zu widerstehen, den einfacheren Weg zu gehen und dem Sohn unter die Arme zu greifen. Meine Frau wählte den anspruchsvolleren. Nachher meinte sie zu mir: „Ich greife erst kurz vor der Entmutigung wieder ein.“ Eine selten gewordene Qualität ist gefragt: Mehr Geduld, um unseren Söhnen etwas zuzumuten.

Noch etwas hängt mit dem Zumuten zusammen: Wir vertrauen unseren Söhnen, dass sie zu mehr in der Lage sind, als sie es zunächst denken. Wer ständig eingreift, entmündigt einen heranwachsenden Sohn. Wir machen sie klein und halten sie abhängig. Wie klug war doch der Ausspruch der Mutter einer meiner Freunde. Wenn sie wusste, dass sie ihm eine Sache zumuten durfte, meinte sie stets: „Ich glaube, dass du eine gute Entscheidung treffen wirst.“ In dieser Zuversicht dürfen wir auch mit unseren Söhnen wachsen.

Warum Ehe und die Lebensstrategie des Touristen sich nicht vertragen

Ron hat mit seinem Post zu den neusten Scheidungszahlen den Kontrastpunkt zu meiner Ode an die Ehe gesetzt. Ich gebe ihm Recht, wenn er meint, dass die gängigen Erklärungsmuster für die ansteigenden Scheidungsraten zu kurz greifen.

Es geht auch um eine geistliche Krise. Im postmodernen Denken ist nämlich kein Platz mehr für stabile Werte oder Beziehungen. Da der Mensch die Erfindung von Machtdiskursen ist, orientiert er sich nicht an ewigen Wahrheiten, sondern handelt Normen und Beziehungen ständig neu aus. Lyotard weist darauf hin, dass permanente „Institutionen in beruflichen, affektiven, sexuellen, kulturellen, familiären und internationalen Bereichen wie in politischen Angelegenheiten“ durch „zeitweilige Verträge“ ersetzt werden (Jean-François Lyotard, Das Postmoderne Wissen, S. 191). Ähnlich wertet der Soziologe Zygmunt Bauman: Bezeichnend für das „postmoderne Lebensspiel“ ist das Leben im Augenblick. Inbegriff der postmodernen Lebensstrategie ist die Gestalt des Touristen. Ein Tourist bindet sich nicht, kennt keinen Befriedigungsaufschub und vor allem: er konsumiert. In einer Zeit des globalen Kapitalismus ist alles auf Bedürfnisstimulation und rasche Befriedigung angelegt. Wie ein Nomade verhält sich der Tourist als Durchreisender. Das Leben bleibt episodenhaft, die Verpflichtungen sind überschaubar. Der Nomade bindet sich nicht an den Aufenthaltsort oder Partner. Wenn ein Stamm mit dem dazugehörigen Vieh einen Weideplatz abgegrast hat, zieht er weiter (Zygmunt Bauman, Flaneure, Spieler und Touristen. Eassys zu postmodernen Lebensformen, 1997.)

10 Jahre verheiratet – das war erst der Auftakt

Vor genau zehn Jahren habe ich geheiratet. Beeindruckt und glücklich sehe ich auf diese Jahre zurück. Für mich waren sie erst der Auftakt meiner Ehe. Ich freue mich auf die nächste Dekade.

1. Ehe ist eine Erfindung Gottes, der Ehepartner ein Geschenk Gottes.

Seitdem ich wusste, dass ich heiraten werde, begleitet mich eine Aussage aus den Sprüchen: “Wer eine Ehefrau gefunden hat, der hat etwas Gutes gefunden und hat Gunst erlangt von dem Herrn.” (Spr 18,22) Eine Ehefrau gefunden zu haben, die mit mir das Leben verbringen möchte, ist eine Gunst Gottes.

2. Mann und Frau sind einander zugeordnet und sich gegenseitig ergänzend geschaffen.

Ich bin je länger je mehr von der genialen Idee, dass Mann und Frau einander als Ergänzung gegeben sind, fasziniert. Meine Frau ist Gegenüber, ein mir Entsprechendes, eine Ergänzung und eine Hilfe. Ohne ihre Unterstützung würde ich nicht dort stehen, wo ich heute bin. Bei jedem Aufsatz, jeder Predigt, jeder Beratung und vielen anderen Anlässen denke ich: Meine Frau hat mindestens 50 % dazu beigetragen.

3. Vertrautes Zwiegespräch als Ausdruck der wachsenden Gemeinschaft

Wir sind geschaffen vom dreieinigen Gott, der in der perfekten Gemeinschaft lebt und der gesprochen hat. Die Kommunikation in der Ehe ist ein schwaches Abbild der innergöttlichen Gemeinschaft. Ich schätze es sehr, täglich aneinander Anteil zu haben. Meine Frau ist meine erste Ansprechpartnerin und meine Vertraute. Im Bewusstsein, dass dies lange nicht von der Ehe gesagt bzw. erwartet werden kann, meine ich: Ich fühle mich am allerbesten von meiner Frau verstanden. Das tägliche Gespräch morgens und abends ist für mich unverzichtbar. Direkt damit verbunden und darin verwoben ist das gemeinsame Gebet.

4. Lass die Sonne nicht untergehen über deinem Zorn.

Es gab Auseinandersetzungen. Wenn ich auf diese Jahre zurückblicke, war allzu oft mein Perfektionismus oder Egoismus Ursache dieser Differenzen. Ich bin sehr froh, diese Konflikte immer zeitnah lösen zu dürfen. Basis für die Bereitschaft zu vergeben ist die Gewissheit, dass ich von meiner Schuld freigesprochen bin in Jesus, der sie getragen hat.

5. Wir bleiben beide Sünder.

Das nüchterne Bewusstsein der hohen Scheidungsrate („es erwischt jeden zweiten“) steht in seltsamem Kontrast zur Idee, dass im trauten Heim das perfekte Glück herrschen muss. Dieser überzogene Anspruch belastet eine Ehe. Ich bin mir bewusst: Gott mutet auch mir schwierige Tage zu. Die wahre Freude wird nicht vom ungestörten Glück in meinen vier Wänden abhängen.

Konstruktivismus und Relativismus

Die erkenntnistheoretische Sicht des Konstruktivismus ist eng mit der Wahrheitsfrage verknüpft. Heinz von Foerster stellt diesen Zusammenhang in einem Interview, das den Vorabdruck zu seinem Werk „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ darstellt, gleich zu Beginn her. Er wird gefragt, was mit diesem Statement gemeint sei.

Damit ist gemeint, daß sich Wahrheit und Lüge gegenseitig bedingen: Wer von Wahrheit spricht, macht den anderen direkt oder indirekt zu einem Lügner. Diese beiden Begriffe gehören zu einer Kategorie des Denkens, aus der ich gerne heraustreten würde, um eine ganz neue Sicht und Einsicht zu ermöglichen. Meine Auffassung ist, daß die Rede von der Wahrheit katastrophale Folgen hat und die Einheit der Menschheit zerstört. Der Begriff bedeutet – man denke nur an die Kreuzzüge, die endlosen Glaubenskämpfe und die grauenhaften Spielformen der Inquisition – Krieg. Man muß daran erinnern, wie viele Millionen von Menschen verstümmelt, gefoltert und verbrannt worden sind, um die Wahrheitsidee gewalttätig durchzusetzen. In dem Moment, in dem man von Wahrheit spricht, entsteht ein Politikum, und es kommt der Versuch ins Spiel, andere Auffassungen zu dominieren und andere Menschen zu beherrschen. Wenn der Begriff der Wahrheit überhaupt nicht mehr vorkäme, könnten wir vermutlich alle friedlich miteinander leben. Wenn ich die Wahrheit als ein Vertrauen von Mensch zu Mensch begreife, dann brauche ich keine externen Referenzen mehr. Dann kann ich das, was er sagt, einfach hinnehmen, weil wir uns gegenseitig treu sind.

Von Foerster möchte aus den Kategorien wahr und falsch aussteigen. Auf die Frage, wie er denn ohne diese Kategorien einen Attentäter be- und verurteilen würde, meint von Foerster:

Soll ich seine Schriften verbieten, die Bücher aus den Bibliotheken herausholen, weil sie nicht meiner Auffassung entsprechen? Die Alternative ist mörderisch. Wenn man die Wahlmöglichkeiten erweitert, dann kann man sich entscheiden, ein Kindermörder oder ein Schulbusfahrer zu werden. Die Entscheidung für den einen oder den anderen Weg verknüpft einen mit der Verantwortung.

Also bleibt keine Möglichkeit zur Be- und Verurteilung, nur der Weg persönlicher Verantwortung eines an sich selbst referenzierten Systems. Es ist nicht möglich, von Gutem, Richtigem oder Schönem zu reden. Solche Wertungen seien obsolet:

Woher wollen Sie wissen, was dieses Gute, Richtige und Schöne ist? Wen fragen wir beide, um dieses Wissen zu erlangen? Die Konsequenz dieser absoluten Unterscheidungen zwischen dem Guten und dem Schlechten, dem Richtigen, dem Falschen, dem Schönen und dem Häßlichen ist, daß man sich zum Richter emporschwingt und als der ewig Gerechte, der alles ganz genau weiß, begreift. Das heißt nicht, daß ich nun für einen ethischen Relativismus plädiere, überhaupt nicht, das muß nicht die Konsequenz sein. Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß diese Unterscheidungen, die vermeintlich eine universale und absolute Gültigkeit besitzen, von Ihnen getroffen werden. Sie sind keineswegs losgelöst von Ihrer Person, sondern Sie tragen für ihre mögliche Durchsetzung die Verantwortung.

Warum werden aus Buben keine Männer (5)? Weil sie vorbereitete Umgebungen antreffen.

Zeitgemässe Lehrkräfte legen viel Wert auf die Gestaltung von anregenden Lernumgebungen. Das heisst der Fokus liegt auf Methode und Material. Abgesehen davon, dass die Vor- und Nachbereitung solcher Lernumgebungen viel Zeit absorbiert, geraten die Inhalte ins Hintertreffen. Wo ich auch hinkomme, bemerke ich: Die Inszenierung der Umgebung wird von den Erwachsenen vorgenommen. Die Kinder kommen hin und führen nur noch die letzten (angenehmeren) Arbeitsschritte aus. Sie bleiben unbeteiligt in der ganzen Vor- und Nachbereitung. Ich verstehe wohl, dass die Anleitung in diesen Phasen mühsamer ist. Die Kinder sind es sich nicht gewohnt, Anfangswiderstände zu überwinden und Dinge bis zum Schluss durchzuziehen. Aber sind dies nicht genau die Disziplinen, die im späteren Leben gefragt sind und einer echten Befriedigung vorausgehen? Darum gibt es mir jedes Mal einen Stich, wenn Erwachsene sich abmühen, was die Kinder in wenigen Augenblicken konsumieren, um wieder wegzulaufen. Jungs brauchen keine fixfertig vorbereiteten Umgebungen. Sie brauchen sinnvolle Projekte, das heisst Herausforderungen, in denen sie Dinge erobern und nachher pflegen können.

Mit der ständigen Erreichbarkeit ins kognitive Aus

Mit dem Hyper-Multitasking an Tönen, Buchstaben, Stimmen, Gesichtern und Zahlen, die wir ständig zur Verarbeitung auf sie einpreschen lassen, katapultieren wir unsere Synapsen regelmässig ins kognitive Aus. Und auch dann noch ist es uns leider unmöglich, auf das kopfschmerzig-herzrasige Überforderungsgefühl, mit dem unser Hirn zu streiken versucht, einzugehen. Denn wir haben die Stille verlernt. Und sind süchtig nach Geräusch geworden.

Schuld daran sind nur wir selber. Denn wir waren es ja selbst, die allen verraten haben, dass wir, wenn einmal kein grünes Häkchen neben unserem Namen aufblinkt, nur so tun, als wären wir nicht da, und während wir auf ‘unsichtbar’ oder ‘abwesend’ gestellt sind, eigentlich genau so wie immer die ganze Zeit mit der Nase am Bildschirm kleben. Wir waren es selbst, die allen gesagt haben, dass wir unser Handy wirklich immer in der Hosentasche tragen. Und wir waren es selbst, die sogar blöd genug waren, auch noch das allerletzte Refugium, das uns wenigstens für einige Stunden oder Tage eine Pause vor uns selbst geben wollte, zu zerstören. Vermutlich haben wir einfach nicht nachgedacht, als wir glaubten, dass es sich schon nicht so schnell herumsprechen würde, wenn wir trotz aktivierter Abwesenheitsnotiz wie immer sofort auf unsere Mails antworteten.

Vielleicht sollten wir wegen alledem eine Selbsthilfegruppe gründen. In der wir uns dann gegenseitig beibringen könnten, wie man sich selbst ausschaltet. In der man lernt, wie man die Tabs , die man gerade erst geschlossen hat, weil man plötzlich merkte, wie unsinnig es ist, alle paar Sekunden sämtliche Accounts zu checken, nicht automatisch direkt danach gleich doch wieder zu öffnen.

Nina Pauer. Wir haben keine Angst. Fischer: Frankfurt 2011. (131-132)