Zitate für das neue Jahr (2): Vom Segen des bürgerlichen Regiments

Der Reformator Johannes Calvin (1509-1564) beschreibt in seiner Institutio differenziert die Aufgabe des Staates. Es steht uns wohl an, am Anfang eines neues Jahres für den nach wie vor herrschenden Einfluss des Christentums zu danken und für unsere Obrigkeit einzustehen.

Die zwei Regimente

… daß es unter den Menschen zweierlei Regiment gibt. Das eine ist geistlich (spirituale): es unterweist das Gewissen zur Frömmigkeit und zur Verehrung Gottes. Das andere ist bürgerlich (politicum): es erzieht uns zu den Pflichten der Menschlichkeit und des bürgerlichen Lebens, die unter den Menschen zu wahren sind. Gewöhnlich spricht man hier von „geistlicher“ und „zeitlicher“ Gerichtsgewalt. (III,19,15)

Zuständigkeitsbereiche: Inneres vs. äussere Sitten

Das Regiment von der ersten Art betrifft das Leben der Seele; das von der zweiten dagegen hat es mit dem zu tun, was zu dem gegenwärtigen Leben gehört; freilich befaßt es sich nicht allein mit Nahrung und Kleidung, sondern es schreibt auch Gesetze vor, nach welchen der Mensch unter Menschen sein Leben heilig, ehrbar und ordentlich einrichten soll. Jenes Regiment hat seinen Sitz tief im Herzen, dieses dagegen regelt allein die äußeren Sitten. (ebd.)

Vermischung: Geistliches auf bürgerliches Regiment übertragen

… als ob etwa die Christen nach dem äußeren Regiment den menschlichen Gesetzen weniger unterworfen wären, weil ihr Gewissen vor Gott frei geworden ist… (ebd.)

(Beispielhafte Begründung) wie kann es kommen, daß der nämliche Apostel, der uns gebietet, standzuhalten und uns nicht dem Joch der Knechtschaft zu unterwerfen (Gal. 5,1), doch an anderer Stelle den Knechten verbietet, über ihren Stand bekümmert zu sein (1. Kor. 7,21)? Das kann doch nur daher kommen, daß geistliche Freiheit und bürgerliche Knechtschaft sehr wohl miteinander bestehen können! (IV,20,1)

Zwei Gefahren des bürgerlichen Regiments

(Anarchie) weil auf der einen Seite unsinnige und barbarische Menschen diese von Gott eingesetzte Ordnung wütend umzustoßen trachten, …

(Totalitarismus) auf der anderen Seite aber die Schmeichler der Fürsten deren Macht ohne Maß übersteigern und sie deshalb ungescheut Gottes eigener Herrschaft entgegenstellen (IV,20,1)

Falsche Trennung: Bürgerliches Regiment ist schmutzig

Jedoch hat jene Unterscheidung nicht etwa den Sinn, daß wir die ganze Gestaltung des bürgerlichen Lebens für etwas Beflecktes halten, das einen Christenmenschen nichts anginge. (IV,20,2)

Die Aufgabe des bürgerlichen Regiments (in einem christlichen Staat)

Das bürgerliche Regiment aber hat die Aufgabe, solange wir unter den Menschen leben, die äußere Verehrung Gottes zu fördern und zu schützen, die gesunde Lehre der Frömmigkeit und den (guten) Stand der Kirche zu verteidigen, unser Leben auf die Gemeinschaft der Menschen hin zu gestalten, unsere Sitten zur bürgerlichen Gerechtigkeit heranzubilden, uns miteinander zusammenzubringen und den gemeinen Frieden wie die öffentliche Ruhe zu erhalten. (IV,20,2)

… wenn sie daran denken, daß sie Gottes Statthalter sind, dann müssen sie auch mit allem Eifer, aller Gründlichkeit und allem Fleiß darüber wachen, daß sie den Menschen an ihrer Person gewissermaßen ein Bild (imago) der göttlichen Vorsehung und Wacht, Güte, Freundlichkeit und Gerechtigkeit vor Augen stellen. (IV,20,6)

Öffentliche Gestalt der Religion und Mitmenschlichkeit

… sie hat auch den Zweck, daß sich Abgötterei, Frevel gegen Gottes Namen, Lästerungen gegen seine Wahrheit und andere Ärgernisse bezüglich der Religion nicht öffentlich erheben und sich unter dem Volk verbreiten, sie hat den Zweck, daß die bürgerliche Ruhe nicht erschüttert wird, daß jeder das Seine unverkürzt und unversehrt behält, daß die Menschen unbeschadet untereinander Handel treiben können und daß Ehrbarkeit und Bescheidenheit unter ihnen gepflegt werden. Kurz, sie dient dazu, daß unter den Christen die öffentliche Gestalt der Religion zutage tritt und unter den Menschen die Menschlichkeit bestehenbleibt. (IV,20,3)

Der Amt der Obrigkeit ist Gott wohlgefällig

Der Herr hat nicht nur bezeugt, daß er das Amt der Obrigkeiten billigt und daß es ihm wohlgefällig ist, sondern er hat obendrein auch seine Würde mit den ehrenvollsten Auszeichnungen versehen und sie uns dadurch wunderbar angepriesen. (IV,20,4)

… es geschieht nicht aus menschlicher Verkehrtheit, daß auf Erden das Urteil über alle Dinge bei den Königen und anderen Oberen liegt, sondern aus Gottes Vorsehung und heiliger Anordnung heraus; ihr hat es gefallen, daß die Angelegenheiten der Menschen auf diese Weise geleitet werden. (IV,20,4)

Zur Regierungsform (aus damaliger Sicht)

Freilich, wenn man jene drei Regierungsformen, die die Philosophen aufstellen (Monarchie, Aristokratie, Demokratie) an und für sich betrachtet, so würde ich durchaus nicht leugnen, daß die Aristokratie oder ein aus ihr und der bürgerlichen Gewalt gemischter Zustand weit über allen anderen steht, zwar nicht aus sich heraus, sondern weil es sehr selten vorkommt, daß die Könige sich so viel Maß auferlegen, daß ihr Wille niemals von Recht und Gerechtigkeit abweicht, und weil sie ferner auch sehr selten mit solchem Scharfsinn und solcher Vorsicht begabt sind, daß jeder einzelne König soviel sieht, wie es zureichend ist. (IV,20,8)