Input: Tolkien und Lewis und ihre Theologie der Vorstellungskraft

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Colin Duriez (* 1947), mehrfacher Autor zu Lewis und Tolkien (J. R. R. Tolkien: The Making of a Legend, A Guide to Middle Earth: Tolkien and The Lord of the Rings, C S Lewis: A biography of friendships, Tolkien and C. S. Lewis: Gift of Friendship, Bedeviled: Lewis, Tolkien and the Shadow of Evil, The C.s. Lewis Encyclopedia: A Complete Guide to His Life, Thought, and Writings), fasst in seinem Aufsatz “The Theology of Fantasy in Lewis and Tolkien” (Themelios 23.2) treffend deren vom Naturrecht ausgehenden Theologie der Imagination zusammen.

Es ist zweifellos (und dankenswerterweise) wahr, dass die Bibel ein konsistentes theoretisches Modell hervorbringen kann, das weitreichende Konsequenzen für das gesamte menschliche Erkennen hat, sowohl in den Wissenschaften als auch in den Künsten. Als Ganzes betrachtet fördert die Bibel jedoch in einer sehr grundlegenden, einfachen und gewöhnlichen Weise das, was man eine symbolische Wahrnehmung der Wirklichkeit nennen könnte – die Betrachtung der Wirklichkeit durch den Rahmen von Erzählungen, Geschichten, Bildern und anderen symbolischen Elementen.

… Meines Erachtens unterstreicht das imaginative Werk von Lewis und Tolkien eine solche biblische Betonung einer symbolischen Wahrnehmung der Wirklichkeit. Ihre symbolischen Welten sind, auch wenn sie fiktiv sind, in gewissem Sinne handfest real. Aus diesem Grund führen sie uns zurück in die gewöhnliche Welt, die ein unvermeidlicher Teil unseres menschlichen Lebens und Erlebens ist, und vertiefen sowohl die Schönheiten als auch die Schrecken unserer Welt. Unser Bewusstsein für die Bedeutung von Gottes Schöpfung und seine Absichten für uns wird erweitert. Tolkien und Lewis leiten uns an, diese Welt mit einem durch und durch christlichen Verständnis zu sehen. Sie erhellen auch, was in der natürlichen Ordnung von Gott offenbart wird.

… Sowohl bei Lewis als auch bei Tolkien beinhaltete ihre Sicht der Natur die Realität der übernatürlichen Welt und ihre unzähligen Verbindungen mit der natürlichen Welt. Daher betrifft ihre christliche Fantasie nicht nur das Übernatürliche, sondern beleuchtet auch die natürliche Welt und bringt uns mit ihr in Kontakt. … Für Tolkien war die Unterschöpfung das bestimmende Merkmal, während Lewis’ Interesse weniger strukturell war; für ihn war die Fantasie ein hervorragendes Mittel, um die schwer fassbare Qualität der Freude zu erfassen.

… Die Vorstellungskraft befasst sich also mit dem Erfassen von Wirklichkeiten (auch wenn sie der unsichtbaren Welt angehören) und nicht mit dem Erfassen von Begriffen. Die phantasievolle Erfindung ist aus sich selbst heraus gerechtfertigt – sie hat nicht die Last, didaktische Wahrheiten zu transportieren. … (Lewis) argumentiert, dass gutes Vorstellungsvermögen ebenso wichtig ist wie gutes Denken, und dass das eine ohne das andere verarmt. Das gilt für die Naturwissenschaften ebenso wie für die Künste. Wir gewinnen die Wahrheit tatsächlich durch den Einsatz von Metaphern oder Modellen.

Beide teilten die Theologie der Romantik, einer Bewegung, die die poetische Vorstellungskraft, den Instinkt, das Gefühl und das Subjektive gegenüber dem kalten Rationalismus hervorhob, den sie als solchen ansahen. … Große Geschichten führen uns aus dem Gefängnis unseres eigenen Ichs und unserer Vorannahmen über die Wirklichkeit heraus. In dem Maße, in dem Geschichten den göttlichen Schöpfer widerspiegeln, helfen sie uns, dem ultimativen Anderen zu begegnen – Gott selbst, der sich als Schöpfer von allem anderen, einschließlich uns selbst, unterscheidet.

Zur Klarstellung: Ich folge den beiden nicht komplett, Lewis weiter als Tolkien. Im Bereich der natürlichen Theologie wähle ich andere Abzweigungen als diese, die Duriez gelungen zusammenfasst:

Tolkiens natürliche Theologie ist insofern ungewöhnlich, als er den Schwerpunkt auf die Vorstellungskraft und nicht auf die Vernunft legt. Im Gegensatz dazu bezog sich Lewis’ natürliche Theologie sowohl auf die Vernunft als auch auf die Vorstellungskraft. Sein apologetischer Ansatz umfasste sowohl seine populäre Theologie als auch seine Belletristik. Lewis setzte die Vernunft energisch zur Verteidigung des Christentums und der Objektivität von Wahrheit und Moral ein. Es wäre jedoch ein großer Fehler, sein Engagement für Objektivität mit einem Modernismus im Stil der Aufklärung zu verwechseln. Für Tolkien (und in gewissem Maße auch für Lewis) kann die Vorstellungskraft unabhängig von der spezifischen Offenbarung der Heiligen Schrift echte Einsichten in Gott und die Wirklichkeit vermitteln. Tolkien betont jedoch in seinem Essay “On Fairy Stories”, dass solche Einsichten Gnadenakte des Vaters des Lichts sind. Sie sind eine Art Vor-Offenbarung, die den Weg zum Empfang der besonderen Offenbarung des Evangeliums öffnet. Während das traditionelle römisch-katholische Denken das Rationale und Kognitive in der natürlichen Theologie betont, verbindet Tolkien es mit der imaginativen Bedeutung. Es handelt sich um eine komplementäre Offenbarung zur propositionalen Offenbarung.