Rezension: 12 Todesregeln – diszipliniert in die Hölle

Rezension von Lars Reeh

Ich mag Jordan Bernt Peterson und bin auch ein bisschen neidisch auf ihn, weil er über fünf Millionen Bücher verkauft hat. Aber er ist einer der größten Irrlehrer unserer Zeit; darauf bin ich nicht neidisch!

Diesen Sommer habe ich 12 Rules for Life gelesen; als Vorbereitung für ein Seminar der Josia-Konferenz 2023. Ich befasste mich zuvor schon seit Jahren peripher mit Peterson und stand ihm recht positiv gegenüber. Klar er ist kein Christ, aber seine praktische Ethik ist in weiten Teilen ansprechend (traditional marriage, …). Ebenso imponierte mir seine mutige Haltung gegenüber dem Zeitgeist. Nach der Lektüre seines Hauptwerkes sehe ich mich nun allerdings gezwungen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Weltanschauung des Dr. Jordan B. Peterson ist in weiten Teilen anti-christlich. Als Beleg dafür könnte ich jetzt die 12 Regeln (oder die 42 Regeln) durchdeklinieren. Jedoch beschränke ich mich in diesem Text auf den Kern der Peterson-Philosophie: Meister Jordan vertritt einen dialektischen Dualismus. Die beiden Pole bilden Chaos und Ordnung (nicht mit Gut und Böse zu verwechseln!). Alles, aber auch wirklich alles findet zwischen diesen beiden Polen statt; sogar Gott. Dies würde man, laut Peterson, an den Mythen der Menschheit erkennen. Peterson schmeißt hier alles in einen Topf: Buddha, die Bibel, die hinduistischen Veden und den ägyptischen Osiris Mythos. Im Sinne des Dualismus dürfen Ying und Yang natürlich auch nicht fehlen. Dadurch kreiert Peterson eine Art Meta-Mythos; einen Myth-Mashup, welcher zu einer dialektischen Superreligion führt. Der Mensch wird dabei – klassisch humanistisch – auf sich selbst zurückgeworfen. Man müsse sich selbst quasi am eigenen Schopfe aus dem Schlamassel ziehen. Dabei sind die Imperative, nun ja, eben Imperative (‚Streng dich an, räum dein Zimmer auf, viele kleine Schritte, sei geduldig, immer wieder aufstehen`, usw.) Das alles kommt ohne Gnade aus. Jesus Christus wird als Vorbild gesehen, nicht jedoch als Herr und Erlöser. Bei dem kanadischen Psychologen ist der Weg das Ziel; faustischer Drang american style – hustlen bis zum next level.

Übrigens ist das Wahrheitsverständnis des Doktors in diesem Sinne ebenfalls prozesshaft. In seinem Konservativen Manifest [sic!] aus dem Jahre 2022 verneint er das Dogma:

(…), und dass die Wahrheit selbst niemals in einer bestimmten Reihe von Fakten oder einem speziellen Wissensbestand zu finden ist. Vielmehr ist in ethischer Hinsicht das echte Vorwärtsstreben der eigentliche Ausdruck der Wahrheit und damit die gültigste Manifestation der Wahrheit selbst. (Konservatives Manifest: deutsche Ausgabe S. 15-16)

Im Kontext von Petersons werkegerechter, moralistischer Lebensformel entsteht somit folgendes Leitziel:

Die Selbstrechtfertigung des Individuums durch Verantwortungsübernahme im Spannungsfeld von Chaos und Ordnung.

Dass es Peterson mit der Selbstrechtfertigung des Menschen ernst ist, macht er in folgendem Zitat mehr als deutlich:

Sie werden möglicherweise feststellen, dass Sie, wenn Sie diese moralischen Verpflichtungen erfüllen, wenn Sie der Aufgabe, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, die oberste Stelle in ihrer Wertskala eingeräumt haben, dass sie dann fühlen, dass ihr Leben von einem tiefen Sinn erfüllt wird. Es ist kein Gefühl von Seligkeit. Es ist kein Gefühl von Glück. Es ähnelt mehr einem Buße tun für den verbrecherischen Tatbestand ihres zerrütteten und beschädigten Seins. Einem Begleichen dessen, was Sie für das irre und schreckliche Wunder ihrer Existenz schuldig sind. Es hat damit zu tun, wie Sie des Holocausts gedenken. Wie Sie Wiedergutmachung für die krankhaften Auswüchse der Geschichte leisten. Wie Sie Verantwortung dafür übernehmen, ein potenzieller Gast der Hölle zu sein. Es ist die Bereitschaft, als ein Engel des Paradieses zu dienen. (12 Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt. S. 310)

Der Untertitel von 12 Rules for Life ist ja An Antidote to Chaos. Es sollte eher An Antidote to the Gospel heißen. Indem Peterson eine werkegerechte Selbsterlösung predigt, werden seine Lebensregeln zu Todesregeln. Dieses Amalgam aus Werkegerechtigkeit und tiefenpsychologischer Bibelexegese wirkt wie ein säkularer Katholizismus gepaart mit einer freikirchlichen, homiletischen Anwendungsorientierung. Wer sich fragt, ob Peterson mittlerweile nicht vielleicht doch dem christlichen Glauben näher gekommen ist, dem empfehle ich diesen aktuellen Interviewausschnitt. Der Journalist Piers Morgan stellt Peterson die einfache Frage, ob dieser an Gott glaube. Den verbalen Eiertanz den Peterson daraufhin aufführt lässt sich mit einem Wort beschreiben: Chaos!

Anmerkung des Blogbetreibers zur Rezension

Ich (Hanniel) habe mit Lars über das Prädikat „Irrlehrer“ gesprochen. Wir waren uns einig, dass dieses im engeren Sinn nur verliehen werden kann, wenn der Betreffende einen Anspruch darauf hat, die christliche Lehre zu vertreten. Mit den umfangreichen Biblical Series (Genesis; Exodus) – Vorlesungen von Peterson zu Bibelbüchern – ist dies durchaus gegeben. Dazu kommt, dass viele Christen unkritisch auf Peterson „abfahren“. 

Zudem ist es wichtig zu beachten, dass die Bibel zwischen erhaltender Gunst und erlösender Gnade unterscheidet. In dieser Unterscheidung gesprochen kann ein nicht erlöster Mensch als Bürger korrekter, erfolgreicher und sogar äusserlich zufriedener sein als ein erlöster Mensch.

Auf diesem Blog habe ich oft über Selbstführung gesprochen. Die oben zugespitzte Argumentation bedeutet nicht, dass wir keine Veränderung unserer Gewohnheiten bräuchten – im Gegenteil. Unsere Gefühle und Handlungen sollen geheiligt werden.

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