Kolumne: Soll ich mich an Online-Debatten beteiligen?

Obwohl ich mich 2023 aus Kapazitätsgründen komplett aus Online-Debatten herausgehalten habe, veranlasste mich die Korrespondenz mit einem Freund darüber nachzudenken.

Die meisten Debatten finden online statt.

  • Es ist von Vorteil, wenn Personen, die örtlich weit auseinander wohnen, sich zu einem Austausch von Argumenten treffen können.
  • Es beginnt dann zu kippen, wenn es nicht mehr um diesen Austausch, sondern um eine emotionale «Entlastungshandlung» geht.
  • Es kann feige sein, sich nicht zu «outen» und z. B. mit einer Mehrheit mitzugehen und der Minderheit eins auszuwischen.
  • Deshalb ist die Frage angebracht: Könnte ich einen oder gar mehrere Debattenpartner im realen Leben treffen?

Ein Blick in die Wörterbücher zeigt: Die Definitionen zerfliessen ineinander.

  • Debatte, Diskurs: lebhafte, erregte Diskussion (bedeutet: Es sind Emotionen im Spiel.)
  • Kontroverse: (zugespitzte) Meinungsverschiedenheit
  • Streitgespräch: trägt nach aussen den Charakter der Auseinandersetzung
  • Polemik: Scharfer, oft persönlicher Angriff, unabhängig von Argumenten

Wichtig ist die Rechenschaft über das offene oder verdeckte Ziel. Worum geht es?

  • Friedliche Einigung
  • Fakten herausarbeiten
  • Gegenposition besser verstehen
  • Eigene Position schärfen
  • Gegner besiegen

Gewissensprüfung

  • Welche Personen sind beteiligt?
  • Welche meiner Charakterzüge könnten besonders hervortreten? 
  • Welches Motiv mag sich dahinter verbergen? (Was würde Ehepartner, Geschwister, Kinder, nahestehende Freunde auf diese Frage antworten?)

Test der Argumente

  • Welche Argumente habe ich für meine Position?
  • Wie stark sind die einzelnen Argumente? 
  • Welche Argumente der Gegenposition kann ich wie gut selber darlegen?
  • Welche Argumente habe ich bisher noch nicht durchdacht?

Weiterlesen

Roger Nicole, Polemic Theology: How to Deal with Those Who Differ from Us

Wie möchten wir also behandelt werden? Erstens wollen wir, dass die Menschen wissen, was wir sagen oder meinen. Wenn wir Differenzen äußern, sind wir daher verpflichtet, uns ernsthaft zu bemühen, die Person, mit der wir nicht übereinstimmen zu verstehen. … Über das hinaus, was eine Person sagt oder schreibt, müssen wir versuchen zu verstehen, was eine Person meint. …

Ebenso sollten wir im Umgang mit Andersdenkenden keine sprachlichen Haarspaltereien betreiben, nur um uns auf unseren Gegner zu stürzen, weil er oder sie sich nicht korrekt ausgedrückt hat. …

Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass wir es den Menschen, die anders sind als wir, schuldig sind, zu versuchen, ihre Ziele zu verstehen. Wonach suchen sie? Was treibt sie an? Wovor schrecken sie zurück? Welche Erfahrungen, vielleicht tragische Erfahrungen, haben sie zu einer bestimmten Haltung gebracht? Wovor haben sie Angst und wonach sehnen sie sich? Gibt es nicht auch etwas, das ich fürchte oder wonach ich mich in gleicher Weise sehne? Gibt es hier nicht eine Möglichkeit, gleich zu Beginn einen Berührungspunkt zu finden, anstatt mit einer völlig defensiven oder feindseligen Stimmung weiterzumachen? …

Zusammenfassend würde ich sagen, dass wir es unseren Gegnern schuldig sind, so mit ihnen umzugehen, dass sie spüren, dass wir ein echtes Interesse an ihnen als Personen haben, dass wir nicht einfach nur versuchen, ein Argument zu gewinnen oder zu zeigen, wie klug wir sind, sondern dass wir zutiefst an ihnen interessiert und darauf bedacht sind, von ihnen zu lernen und ihnen zu helfen.