Zitat der Woche: Russland – auf ewig für die Tyrannei bestimmt?

Ich halte mich tunlichst aus politischen Diskussionen heraus. In “Der Kreml – eine neue Geschichte Russlands” von Catherine Merridale (2013; also ein Jahr vor Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Ukraine) las ich (S. 20f):

(Anlässlich der verfassungswidrigen dritten Amtszeit Putins wurde argumentiert), die russische Nation habe ihren Bestand der Tatsache zu verdanken, dass sie speziellen Regeln folge. Das Volk habe am meisten zu leiden, wenn eine Schwäche im Herzen der Macht zu bemerken sei. Das nationale Genie habe eine einzigartige, schöpferische Gestalt, versicherten sie, und könne nur gedeihen, wenn es von einem starken, zentralisierten Staat beschützt werde. … Von Peter dem Grossen bis hin zu Stalin und vom engstirnigen Alexander III. bis hin zu Putin selbst zeige die Vergangenheit, warum Russland immer noch eine straff regierende Hand benötige. Sogar Zweiflern wurde bewusst, dass die Alternative Risiken in sich barg. Jeder Russe kannte sich mit schwachen Regierungen aus,, denn der jüngste Fall war der von Boris Jelzins Präsidentschaft in den 1990er Jahren gewesen, einer Zeit der nationalen Erniedrigung und des verzweifelten menschlichen Elends. Dadurch fand die etatistische Botschaft willige Zuhörer.  … es hatte etwas deprimierend Unvermeidliches an sich, als wäre das Land in der Tat auf ewig für die Tyrannei bestimmt. Ähnliches behaupten Aussenstehende seit Jahrhunderten. ‘Der Fürst allein kontrolliert alles’, urteilte ein jesuitischer Gesandter in den 1580er Jahren. ‘Die Ehrerbietung, die dem Fürsten entgegengebracht wird, ist etwas, das sich kaum begreifen lässt.’ Mehrere Engländer, die unter der Herrschaft von Elisabeth I. und Jakob I. Bericht über Moskau erstatteten, schlossen sich dieser Meinung an. Über 300 Jahre später, als die bolschewistische Revolution von 1917 in eine Diktatur umschlug, hielten Experten mehrere Theorien über den besonderen Weg Russlands bereit. Genau das geschah auch, als die Reformen der Perestroika unter Gorbatschow stockten. Ein Politikwissenschaftler formulierte es damals folgendermassen: ‘Zu viel Freiheit verursacht zahlreichen Russen Unbehagen.’ … ‘Die etatistische Interpretation der russischen Geschichte liefert eine Rechtfertigung für Unverantwortlichkeit und eine Absolution für vergangene Verbrechen.’ Durch die Nutzung der Geschichte könne sich, mit den Worten eines anderen Autors, sogar die gegenwärtige Regierung ‘in die Traditionen der Vergangenheit einfügen’, womit der Staat selbst zum ‘Konzentrationspunkt des Gesellschafts- und Privatlebens (wird), gewissermassen also auch zur höchsten Rechtfertigung für das Leben des Individuums’