Mit grossem Interesse habe ich das von John Frame empfohlene Werk zur Erkenntnislehre “Longing to Know: The Philosophy of Knowledge for Ordinary People” (2003) von Esther Lightcap Meek gelesen. Es ist in der Zeitschrift Themelios rezensiert worden. Sie schreibt nicht nur allgemeinverständlich, sondern zeigt auf, dass unser Wissenserwerb für die Gotteserkenntnis vom gleichen Autor angelegt wurde und deshalb identisch mit dem Prozess im Alltagsleben vor sich geht. Sie illustriert dies in verdaubaren Portionen anhand ihres Wissens über und Erfahrungen mit ihrem Automechaniker.
Merkmale von Wissen: Notwendigkeit, dass die Wahrheitsbehauptung unmöglich anders sein kann; Universalität, dass die Wahrheitsbehauptung für jeden wahr wäre. (26)
Archäologie des Wissens – Antike und Moderne: Während Platon und Co. davon ausgingen, dass der Anker und die Garantie des Wissens außerhalb von uns selbst in der Welt um uns herum liegt, postulierten die modernen Denker, dass es im Geist des Wissenden liegt. (30) …
Der Weg zum (post-)modernen Skeptizismus: In dem Bestreben, ein Ideal der Gewissheit zu erreichen, haben die Denker im Laufe der Jahrhunderte die Parameter des “richtigen” Wissens so stark eingeengt, dass bestenfalls Binsenweisheiten übrig blieben, oder sie waren so minimalistisch und privat, dass das ganze Durcheinander der Realität aus ihnen herausgepresst wurde. (33)
Das moderne Modell des menschlichen Wissens, so behaupte ich, war eine verkürzte Version, die eine sterile Loslösung vom Realen und von uns selbst und anderen förderte. (144)
Gewissheit ist nicht zu haben, und wir wollen auch nicht die distanzierte Sterilität, die sie erfordert. Aber wir bleiben nicht bei Subjektivismus, Relativismus und Skepsis. Wir sind frei, das Risiko und die Verantwortung zu lieben, die uns tiefer in die Welt hineinziehen. (159)
Wir können nicht vollkommen sicher sein und wollen auch nicht den Preis dafür zahlen. Die Alternative zu einer in Wirklichkeit sterilen Gewissheit ist eine sehr fruchtbare Fähigkeit, sich auf die Realität einzulassen und sie hervorzurufen. (181)
Der innere Drang zu erkennen: … was wir in uns selbst nicht leugnen können: die Hoffnung und die Sehnsucht, uns auf das Reale einzulassen, zusammen mit dem Gefühl, dass wir es tun. (34)
Gotteserkenntnis und Erkenntnis seiner Schöpfung: Die Erkenntnis Gottes ist ein Erkenntnisakt, der dieselben grundlegenden Merkmale aufweist wie unsere gewöhnlichen, alltäglichen Erkenntnisakte. (39)
In keinem Fall unfehlbares Wissen: Nicht nur das Wissen um Gott kann nicht vollständig in rationalen Sätzen und mit sicherem und unfehlbarem Wissen erfolgen. Wir können auch unseren Automechaniker nicht auf diese Weise kennen und kennen ihn auch nicht. (44)
Erfahrungslernen über den Körper: Sie verlassen sich auf Körpererfahrungen, um sich auf die Tätigkeit zu konzentrieren. Um die Fähigkeit zu entwickeln, musste Ihr Körper die Erfahrungen lernen. (50)
Erkenntnisakt: Der Akt des Erkennens ist die Fähigkeit des Menschen, mit der Welt zurechtzukommen, indem er eine Kohärenz, ein integriertes Muster, einen Sinn für die Dinge findet, der uns die Welt eröffnet. (50)
Wahrheit ist personal: Alle Wahrheit ist die Wahrheit von jemandem. (57)
Wissenschaftliches Arbeiten und Denkvoraussetzungen: Ein Problem finden; Daten sammeln; eine Versuchshypothese aufstellen, um die Daten zu erklären; die Hypothese testen; eine Schlussfolgerung ziehen. Niemand scheint darüber sprechen zu wollen, wie man eine Versuchshypothese aufstellt. (63)
Neue Erkenntnisse: Du gelangst durch deine Fähigkeiten in Regionen, die darüber hinausreichen. Dein Wesen verspricht zukünftige Möglichkeiten. (72)
… in Worte fassen: Da wir Menschen sind, die Dinge systematisch in Worte fassen und Konsequenzen formulieren und ziehen, erweitert die verbale Darstellung unserer Bemühungen auf dramatische Weise unseren Zugang zur Realität und eröffnet neue Perspektiven. (77)
Fehlerlernen: Wenn wir etwas erleben, das nicht zu passen scheint, und vor allem, wenn es uns Qualen bereitet, überdenken wir ganz natürlich unsere Integration. (88)
Wir sehnen uns danach, es besser zu machen. (161)
Gehorsam und Erkenntnis: Gehorsam ist gelebte Wahrheit. Und ich kann in meinem Körper die Wirkung dieser Ausrichtung spüren. (93)
Lernen durch andere: Wir müssen lernen, zu sehen, was da ist. (98)
Es geht um … verantwortungsbewusstes Handeln statt epistemischer Letztgültigkeit (102)
Kein blindes Vertrauen: Der Gott, der das Recht beansprucht, meine Erfahrungen zu interpretieren, erwartet nicht, dass ich ihm blind vertraue. (105)
Transformation durch neues Wissen: Wenn wir zu einem neuen kohärenten Muster gelangen, kann dies sowohl unsere Welt als auch uns selbst verändern. (108)
Risiko und Vorläufigkeit beim Erwerb: …die geschickte menschliche Anstrengung, eine Anstrengung, die eine riskante Ausweitung unserer selbst beinhaltet; eine aktive Neuzuweisung von Bedeutung, die zum Zeitpunkt der Anstrengung nicht explizit gerechtfertigt ist; ein Verlassen auf Hinweise, die wir nicht spezifizieren können, oder wenn wir es können, ist es unsere Verkörperung, nicht unsere verbale Beschreibung von ihnen, die uns vorwärts bringt. (125)
Kontakt und Zuversicht: In unseren Wissensakten kommen wir mit der Wirklichkeit in Kontakt – wir erfassen einen Aspekt der Wirklichkeit. Die Wahrheit liegt im mehr-als-verbalisierbaren Kontakt. … Die Zuversicht erkennt das Bemühen um Wissen nicht nur im Hinblick auf die Gründe an, die wir artikulieren können, sondern auch im Hinblick auf die zahlreichen Merkmale, die wir nicht in Worte fassen können, von unserem gefühlten Körperempfinden bis zu unserem Sinn für zukünftige Horizonte. (137f)
Glaube als beharrlicher Ausgangspunkt: Mein Glaube an Gott ist beharrlich. Er beherrscht mein ganzes Leben. Ich interpretiere jede Erfahrung im Lichte seines Wortes, der Bibel, und versuche, sie auch zu interpretieren. (154)
Temporäre Zweifel: Es ist in Ordnung, einem Glauben treu zu bleiben, auch wenn man Zweifel hat und scheinbar gegenteilige Beweise vorlegt. (168)
Charakter und Erkenntnis: Wissen als Erschließen und Einlassen auf das Reale sollte eine angemessene Haltung nahelegen, die unser Wissen begleitet und verstärkt. Das wären Engagement, Respekt, Geduld und Demut. (175)
Vertrauen in den Charakter des Erkennenden: Unser Wissen über Gott wird zu Recht als ein Vertrauen gesehen, das nicht auf unsere erkenntnistheoretischen Bemühungen, sondern auf den Charakter dessen gesetzt wird, den wir kennengelernt haben. (181)
Dreifacher Zugang: Gott begegnet uns im Wort: Die Heilige Schrift ist Gottes autoritativer Wegweiser zur Wahrheit über sich selbst, uns und seine Welt. Gott begegnet uns in der Welt: Die Welt bietet nicht nur Einblicke in seine Herrlichkeit und seine Gedanken, sondern Jesus kam in Raum und Zeit und leitete durch sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung die Wiederherstellung ein. Und Gott begegnet uns in uns selbst, denn Gott, der Heilige Geist, ist derjenige, der uns die Augen öffnen kann und muss, damit wir die Wahrheit erfassen können. (195)
Noch etwas kürzer gibt es von Meek “A Little Manual for Knowing”; die ausführliche Variante stellt ihre Dissertation über Polanyi dar: “Contact with Reality: Michael Polanyi’s Realism and Why It Matters”.