Lernen: Es gibt immer Raum für Überraschungen und Missverständnisse

Ein schönes Zitat zum Thema Lernen, gefunden bei Tony Reinke:

…the academic disciplines are, for the most part, expressions of humanity’s sinful revolt against God. They are manifestations of human arrogance, symbols of humanity’s prideful claim that it can fully understand the world without any reference to God. But Calvinists know there is always room for surprise. Even the most mature Christians still harbor the seeds of sin within them and thus can be mistaken. What is more, God can, through the gift of common grace, sometimes allow the unregenerate to see truths that the righteous have ignored, overlooked, or misconstrued. Because that is the case, Reformed Christian scholars must be ready to be tutored on occasion by both their non-Reformed fellow believers and by their secular academic peers. This will surely be the case with matters of fact and sometimes even with regard to issues of philosophy and faith. Still, the assumption is that on most matters of scholarship Christians will see things more clearly than their non-Christian colleagues.

Scholarship and Christian Faith by Douglas Jacobsen and Rhonda Hustedt Jacobsen (Oxford, 2004), 26.

Spannend zu lesen – gerade auch dann, wenn ich nicht einverstanden bin

Andy Naselli ist seit Jahren Blog-Abonnent von Doug Wilson. Er und seine Frau haben einige seiner Bücher gelesen. Ich pflichte ihrer Einschätzung bei:

We agree with each other that reading Wilson often evokes one of three responses:

  1. We strongly agree. Pithy, insightful.
  2. We strongly agree while recognizing that an improved tone could win others over. (Think Tim Keller.)
  3. We strongly disagree while being put off by the tone. For example, last week he called the NIV a “gender bender” translation, asking, “Who wants a Bible translation with hormone shots and breast implants?”

So I can’t endorse his books on the family without that significant caveat. That said, however, he’s worth reading, and he’s fun to read. He says a lot of helpful things, and he rarely says anything in an uninteresting way—even if you disagree with him as I do, for example, that we should treat proverbs like promises or that public schools are not an option for Christians.

Ziel und Aufgaben christlicher Bildung

Was ist das Ziel christlicher Bildung?

The Christian gains his fullest satisfaction and attains his fullest realization by yielding himself wholeheartedly to the fulfillment of God’s purposes for him. The function of Christian education is to enable the learner to know more adequately God Himself, God’s purposes for man, the learner’s own capacities and limitations, and the means by which these capacities may be utilized most fully toward the implementation of God’s plan and for the glorification of His name.

Welche Aufgaben leiten sich daraus ab?

First, it must develop and bring to maturity the powers, skills, attitudes, and capacities of growing and maturing personalities. Second, it must seek to re-organize, re-integrate, and re-energize or re-direct the warped personality.

Die notwendige Voraussetzung für die Reorganisation ist die Wiedergeburt des Lernenden:

Before unification can be effected, the image of God must be restored, through redemption in Christ. Only then can the conflicts and confusions of the learner be resolved.

Bildung muss vom Bundescharakter der Beziehungen ausgehen. Das Kind soll durch das neue Leben zum Gehorsam gegenüber Gott angeleitet werden:

Education is Christian when it leads youth to accept the life of “new obedience.”

Aus: John De Beer and Cornelius Jaarsma. Toward a Philosophy of Christian Education.

Schlüsselerlebnisse mit Kindern (7): Wenn mein Sohn sich prügelt

Doug Wilson verbindet am Anfang seines Buches “Future Men” den Begriff “Glauben” mit der Erziehung von Söhnen. In der Regel verknüpfen wir Glaube mit einer Hoffnung auf ein zukünftiges Leben. Das gleiche gilt auch für die Erziehung: Der Glaube sieht in meinem Sohn schon jetzt, was einmal sein kann – durch Gottes Gnade und meinem vollen (unzulänglichen, bisweilen verkehrten) Engagement als Vater.

Nehmen wir an, mein Sohn ist in einen Kampf mit den Fäusten verwickelt. Schläge werden ausgeteilt. Etwas kleinlaut kommt der Junge nachher – womöglich mit einer Platzwunde oder einer zerrissenen Hose – zu mir. Eine typische fromme Reaktion wäre: Das, was du getan hast, ist Sünde. Die Diagnose trifft zu; wahrscheinlich waren Motiv, Ziel und Standard des Verhaltens nicht lauter. Doch der Glaube sieht noch etwas anderes: Er sieht z. B. den Wunsch des Jungen, sich für ein Unrecht zu wehren; sich für einen Schwächeren einzusetzen; sich einem vorlauten Kollegen in den Weg zu stellen. Höchstwahrscheinlich gäbe es bessere Wege, mit einer solchen Situation umzugehen.

Doch statt den Jungen eine einfache Quittung „Sünde und jetzt sei still“ in die Hand zu drücken, gibt es einen anderen Weg, den Weg des Glaubens: Genau diese Situation ist eine Gelegenheit, mit meinem Sohn ein Gespräch „von Herz zu Herz“ zu führen. Was hast du gedacht, bevor du dich auf den Kampf eingelassen hast? Was ist dir während dem Kämpfen durch den Kopf gegangen? Wie geht es dir jetzt? Welche Gefühle hast du jetzt? Welche anderen Wege würde es geben?

Wenn ich meinem Sohn alles abschneide, werden ihm auf diese Weise (ungewollt) viele männliche Züge „ausgedrillt“. Die Gefahr besteht, dass er nicht lernt, solche Situationen zu überdenken. Wahrscheinlich hat er bereits ein Vorgehen entwickelt, mit solchen Momenten umzugehen. Unter Umständen zieht er sich zurück, wenn er sich wehren müsste. Oder er lässt die Aggression an den Geschwistern oder an den Eltern aus. Oder er richtet die Aggression gegen sich selbst.

Mit neuem Mut (und neuer Perspektive) gehe ich zukünftig solche unangenehmen Situationen an. Weil ich durch den Glauben weiss, dass sie zu Formung von zukünftigen Männern beitragen.

5 Thesen zu Glaube und Vernunft

Nicolas Wolterstorff, wichtiger Vertreter der angelsächsischen reformierten Religionsphilosophie, zum Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft:

  1. Belief in God can be justified immediately rather than mediately through reasons or evidence.
  2. Divine revelation is not externally authenticated – it is self-authenticating.
  3. Sin not only affects our wills – it has noetic effects also.
  4. A competent specimen of science may well not be neutral with respect to the Christian faith and that, in the event of conflict, the science should be re-done rather than that the faith should be given up.
  5. A Christian’s engagement in scientific activity should be directed in appropriate ways by his faith.

Aus: Nicolas Wolterstorff, ‘Introduction’ in ‘Rationality in the Calvinian Tradition’, in: John Shortt. TOWARDS AREFORMED EPISTEMOLOGY AND ITS EDUCATIONAL SIGNIFICANCE.

Wenn Menschen lernen, haben sie mehr als Powerpoint verdient

Als Wissenschaftler und Professor erlebe ich pro Jahr einige hundert Präsentationen. … Früher war Präsentationstechnik einfach: Mediziner hatten Dias, Psychologen Folien, Mathematiker erkannte man an den kreideweissen Fingern und Ingenieure hatten immer etwas dabei, das sich bewegte, Krach machte und/oder stank.  … An den Schulen gab es Tafeln und Kreide, gelegentlich vielleicht einen Overhead-Projektor, sehr selten Dias und in Vertretungsstunden oder am Aschermittwoch ein Video. Ganz besonders gelitten haben Vorträge und Präsentationen überall – von den Schulen über die Geschäftswelt bis hinein in die Wissenschaft – mit der Einführung von Laptops, Video-Beamern und Präsentationssoftware. Es wird visualisiert und animiert, was das Zeug hält – vor allem von denjenigen, die auf sogenannte Professionalität Wert lege ohne wirklich ein Profi zu sein.

… In seinem neusten Buch The Cognitive Style of PowerPoint argumentiert der Graphik-Designer Edward Tufte (2003) sehr klar, dass die Grenzen und die Möglichkeiten moderner Präsentationssoftware zu einer Überfüllung der Präsentationen mit unnützer Grafik … und zugleich zu einer inhaltlichen Verarmung führen. … Viele Ideen lassen sich nicht in fünf Punkten mit jeweils vier Wörtern ausdrücken.

… Wenn Menschen sich treffen, um voneinander zu lernen, haben sie besseres verdient als PowerPoint.

Manfred Spitzer. Vorsicht Bildschirm! dtv: München 2011 (7. Auflage). (143-146)

Schlüsselerlebnisse mit Kindern (6): 42 Minuten Musik.

Endlich durfte ich einer Klavierstunde meines Sohnes beiwohnen. Dieser fand ausserplanmässig in den Räumlichkeiten der Zürcher Hochschule der Künste statt. Zeitgleich liefen Aufnahmeprüfungen. Das Haus hallte von Musik wider. Wir betraten ein kleines Zimmer. Der Flügel füllte einen Gutteil des Raumes aus. Die freudige Spannung stieg an, als der Unterricht begann. Es geht um Musik. Zuerst wird ein Stück frei nach Wahl aus dem Repertoire auswendig vorgespielt. (Erst mit einem Repertoire beginnt es Spass zu machen. Ich erinnere mich zurück an die Zeiten, als ich monatelang mit dem gleichen Stück beschäftigt war – aus reiner Faulheit.) Dann geht es um die Sitzhaltung, die Haltung der Hände. Der Lehrer zeigt Übungen im Trockenen, hält die Ellbogen. Er stellt am laufenden Band Fragen: Was hast du gehört? Wie ist es dieses Mal im Vergleich zum letzten Durchgang gelaufen? Solche Fragen fördern die Selbstwahrnehmung des Übenden. Das Stück wird „eingebettet“: Es ist der Schlussteil einer Symphonie, also eines langen Stückes mit Orchester und einem Chor. Zuerst kommen leise die Celli, dann die Geigen. Es stammt von einem berühmten Komponisten namens Beethoven, der das Stück taub geschrieben und uraufgeführt hatte. So werden vier Stücke behandelt, präzise Anweisungen für die Übungen folgen schriftlich. Aus einem bestehenden Stück wird flugs eine Variation angefügt. Die letzten Minuten öffnet der Lehrer den Flügel und zeigt die komplexe Mechanik des Innern. Nach zweiundvierzig Minuten verlasse ich inspiriert den Raum.

15 Fragen, die an den Nerv gehen

Andy Naselli verweist auf 15 Fragen, die auf unser Innerstes abzielen:

  1. What do you desire more than anything else?
  2. What do you find yourself daydreaming or fantasizing about?
  3. What lies do you subtly believe that undermine the truth of the gospel?
  4. Are you astonished with the gospel?
  5. Where have you made much of yourself and little of God?
  6. Is technology interrupting your communion with God?
  7. Is work a source of significance? How?
  8. Where do your thoughts drift when you enter a social setting?
  9. What fears keep you from resting in Christ?
  10. What consumes your thoughts when you have alone time?
  11. When people see how you spend money, do they conclude that God is a priceless treasure, exceedingly valuable above all worldly goods?
  12. When people observe your relationship with others, are they alerted to the power of Christ’s forgiveness of you that alone accounts for your forgiveness of them?
  13. If you are complimented for some accomplishment, does the way you receive it drive onlookers to give thanks to the Lord?
  14. Is your use of leisure time or devotion to a hobby or how you speak of your spouse the sort that persuades others that your heart is content with what God is for you in Christ?
  15. Does your reaction to bad news produce in you doubt or fear, or does it inspire confidence to trust in God’s providence?

Über den Unterschied und den Zusammenhang zwischen Lehre und Leben

Herzlichen Dank, Raphael, für diese Zuschrift, die den nötigen Ausgleich zum vorherigen Post darstellt. Ich stelle sie gleich eins zu eins auf den Blog.

Obwohl es darin primär um die Erziehung geht, ist zu fragen ob es Menschen überhaupt möglich ist, in Lehre und Leben übereinzustimmen. Ich zitiere aus einem Artikel von Prof. Udo Kern in “Koers : Bulletin for Christian Scholarship” über “Luther als protestantischer Katechet” [2009]:

Nach Calvin haben sich “Bischöfe und die Kirchendiener (ministri ecclesiarum) treu dem Dienst des Wortes (ministerium verbi) zu widmen.” Dieser besteht darin die pura et sincera doctrina (reine und echte Lehre) dem Volk weiterzugeben (tradere), und durch das Beispiel des eigenen Lebens (exemplum vitae) das Wort Gottes zu unterweisen (instituere). Auf die rechte, echte, reine Lehre kommt es auch bei Luther an, denn falsche Lehre (falsa doctrina) ist Entheiligung und Schändung von Gottes Namen. Für Luther ist jedoch himmelweite Differenz zwischen Lehren und Leben, zu konstatieren. Jene hat als doctrina dei (Lehre Gottes) reine Lehre (pura doctrina) zu sein, dieses (unser Leben) ist menschlich fehlbar: “Es ist ein gar großer Unterschied zwischen Lehren und Leben, so wie zwischen Himmel und Erde ein großer Unterschied ist. Das Leben mag wohl unrein, sündig und gebrechlich sein, aber die Lehre muss rein, heilig, lauter und beständig sein. Im Leben mag es fehlen, dass es nicht alles hält, was die Lehre will; aber die Lehre (sagt Christus) darf nicht an einem Tüpfelchen oder Buchstaben fehlen, obwohl das Leben ein ganzes Wort oder eine Zeile in der Lehre auslässt. Ursache ist dies: Die Lehre ist Gottes Wort und Gottes Wahrheit selbst; aber das Leben ist unser Mittun. Darum muss die Lehre ganz rein bleiben, und wer am Leben fehlt und gebrechlich ist, da kann Gott wohl Geduld haben und vergeben. Aber die Lehre selbst danach man leben soll, ändern oder aufheben, das kann und will er nicht leiden” (WA 30 III, 343, 23-33). Neben dem großen Unterschied von Lehre und Leben gilt doch auch für Luther der Zusammenhang von beiden. Pura doctrina gibt Hoffnung der Lebensverbesserung: “Wenn die Lehre rein bleibt, so ist Hoffnung, dass auch das Leben leicht gebessert wird (spes est vitae facile corrigendae)”, sagt Luther und illustriert das mit einer Metapher: “Der Sonnenglanz ist rein, wenn er gleich auf  Dreck fällt und scheint. Und Gott erhält etwas Heiliges (sanctum) unter uns, wenn wir […] fallen sollten. Das ist sein Wort, durch das wir alsbald den Irrtum verdammen. Das hält der Herr für groß und hat es lieb.” (WA 13, 688,13-17.) Für Luther gilt jedoch eindeutig aus soteriologischen Gründen die Priorität der pura doctrina vor dem Leben: “Es liegt nun bei weitem nicht so sehr am Leben wie an der Lehre: Wenn das Leben schon nicht so rein ist, kann dennoch die Lehre wohl rein bleiben; mit dem Leben muss man Geduld haben […]. Das Leben wird die Lehre nicht erreichen, solange wir hier leben.” Das sähen wir an dem nicht fehlerfreien und zuweilen Narrenhaften und Schwachheit ausmachenden Leben der Apostel. (WA 24, 607, 3-5.23-30.)

Hier hat Luther die Sache richtig gefasst.