Standpunkt: Managementlehre, Stoizismus und die biblische Weltsicht

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Der Stoizismus feiert ein Comeback gerade auch in den Management-Ausbildungen. Gemeinhin kennen wir den Begriff etwa in dieser Färbung:

Die Stoiker glauben damit, im Gegensatz zu den Epikureern, deren überzeugte Gegner sie sind, an das Schicksal. Weisheit besteht ihrer Ansicht nach darin, den Platz zu akzeptieren, der einem im Universum zugewiesen ist, und in Harmonie mit der Natur zu leben, indem man sich, durch die Ausübung von Tugend und die Zurückweisung von Leidenschaften, um seinen Körper und seine Seele kümmert. Noch in der heutigen Sprache gibt es mit „Ertrage und enthalte dich“ (lat. sustine et abstine) und „Gerate durch nichts aus der Fassung” (nihil mirari) Formulierungen, die diese Weisheit zusammenfassen und den Geist der Stoiker erhalten. Dazu gehört auch, eine unerschütterliche Haltung als „stoisch“ zu bezeichnen.

Durch meine Studien und der vorsichtigen Integration von Teilen der Logotherapie Frankl (erste Prinzipien; Sinnverlust und Lebenserfüllung; Sinnlosigkeitsgefühl; 10 Thesen zur Person und ihre Anwendung in der Pädagogik; erster Aufsatz aus 2010 “Die Zentralität der Sinnfrage”) wurde ich auf die gemeinsamen Ideen aufmerksam.

Sowohl die Logotherapie als auch der Stoizismus vertreten die Auffassung, dass wir, wenn eine Situation nicht geändert werden kann, aufgefordert sind, uns selbst zu ändern; ein Mensch hat die Freiheit, seine Einstellung zu seinem Problem zu ändern. Dies ist für beide Schulen wesentlich.

A Stoic Search for Meaning: Stoicism and Viktor Frankl.

Der gleiche Autor listet – meines Erachtens zutreffend auf:

Stoiker: Die Stoiker sehen die Welt als eine einzige Gemeinschaft, in der alle Menschen Brüder sind (Kosmopolis).

Logotherapie: Frankl spricht von “Monoanthropismus” (“universelle Menschheit”).

Stoiker: Das Universum wird von einer höchsten Vorsehung regiert – dem Logos/der göttlichen Vernunft/der Natur/dem Geist.

Logotherapie: Logos ist Sinn. Wir sollten auf die Stimme unseres Gewissens hören, denn es ist das Organ des Sinns – es kommt zu uns wie ein “Wink des Himmels”.

Stoiker: Unsere Pflicht ist es, in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen, mit den Gesetzen der Natur, ihrer angeborenen Gabe der Vernunft (dem göttlichen Element) zu leben.

Logotherapie: Blühen bedeutet, im Einklang mit allen drei Dimensionen zu leben: Soma (Körper), Psyche (Geist) und Nous (rationaler Geist).

Stoiker: Wir müssen die Leidenschaften disziplinieren und erkennen, dass die Vernunft höher steht als Instinkte, Neigungen und Triebe (Wachsamkeit).

Logotherapie: Die Leidenschaften müssen integriert werden, und das Unbewusste muss bewusst gemacht werden. Nous (der noetische Kern der Resilienz) transzendiert das Soma.

Stoiker: Wir müssen uns damit abfinden oder akzeptieren, was das Schicksal (Fortuna) uns bringt.

Logotherapie: Wir müssen uns den “Willen zum Sinn” und die “Trotzkraft des menschlichen Geistes” zunutze machen, um mit “Schicksalsschlägen” umzugehen, ohne zurückzuweichen.

Stoiker: Wir dürfen nicht zu viel Wert auf Dinge legen, die uns genommen werden können (Äußerlichkeiten), sondern müssen ein kosmisches Bewusstsein kultivieren und uns auf innere Werte konzentrieren.

Logotherapie: Der Mensch muss sich mehr am Ewigen wie dem Wahren, Guten und Schönen orientieren als am Vergänglichen und die Dinge ins rechte Licht rücken (Dereflexion).

Stoiker: Nicht die Dinge selbst stören uns, sondern der Blick, den wir auf sie werfen (unsere Interpretationen).

Logotherapie: Wichtig ist, wie wir auf die Dinge antworten und nicht, wie wir auf sie reagieren (die Haltung/der Standpunkt, den wir einnehmen).

Stoiker: Das Ziel ist es, Seelenfrieden und Freiheit von Angst zu erlangen; moralische Güte (Tugend) ist das Ziel. Glücklichsein ist ein Nebenprodukt.

Logotherapie: Glück ist ein Nebenprodukt einer sinnvollen Existenz. Um es zu finden, müssen wir es vergessen.

Stoiker:  Das summum bonum (höchstes Gut) ist eine Kombination der vier Kardinaltugenden: Weisheit oder sophia (moralische und geistige Einsicht), Mut (Tapferkeit), Gerechtigkeit (fairer Umgang) und Mäßigung (Selbstbeherrschung).

Logotherapie: Die Essenz der menschlichen Existenz ist die ethische und spirituelle Selbsttranszendenz, indem wir aus dem existenziellen Vakuum zu ethischen Werten gelangen.

Stoiker: Die Philosophie ist sowohl praktisch als auch therapeutisch – der Ort der spirituellen Übungen, deren Ziel es ist, mehr zu formen als zu informieren.

Logotherapie: Die Logotherapie ist eine Form der sokratischen oder noetischen Therapie und eine Lebensphilosophie, deren höchstes Ziel die Selbsttransformation ist.

Der Blogger und Autor Jonas Salzgeber beschreibt in seinem Ratgeber “Das kleine Handbuch des Stoizismus” die Grundprinzipien. Es geht darum, in unserem Leben zu gedeihen, uns weiterzuentwickeln, voranzukommen. Der Begriff Eudämonie fasst den idealen Zustand als “gutes Verhältnis zum eigenen inneren Dämon” zusammen, erreichbar durch folgende Grundhaltung:

  1. Präsentiere jederzeit dein ideales Selbst. Es geht darum im Hier und Jetzt die beste Version seiner selbst zu sein. Die Natur hat in uns einen göttlichen Samen gepflanzt, womit das Potenzial einer Entwicklung hin zum Ideal möglich wird.
  2. Konzentrieren dich auf das, was in Ihrer Macht liegt. Zu jeder Zeit kontrollieren wir das, was innerhalb unseres Einflussbereiches liegt. Den Rest nehmen wir so an, wie er geschieht. Was ausserhalb unseres Kontrollbereichs liegt, ist nicht wichtig für das Vorankommen.
  3. Übernehme Verantwortung. Gut und Böse stammen aus einem selbst. Jedes externe Ereignis beinhaltet einen Bereich, den wir kontrollieren können – unsere Reaktion darauf.

Sehr lesenswert sind 55 Übungen, die Salzgeber aus den Grundprinzipien ableitet, jeweils im Abgleich mit den Denkern des Stoizismus, insbesondere Seneca (-1 bis 65 n. Chr.) und Marc Aurel (121-180). Ich habe die Titel teilweise sprachlich geschärft.

(1) Akzeptiere und liebe alles, was passiert.

(2) Handle unter Vorbehalt – es kann anders kommen.

(3) Das Hindernis für das Handeln fördert das Handeln.

(4+5) Bedenke Endlichkeit und Sterblichkeit.

(6) Betrachte alles von der Natur geliehen.

(7) Mache dich gedanklich vertraut mit schlechten Ereignissen (negative Visualisierung).

(8) Praktiziere freiwilliges Unbehagen (Verzicht).

(9+10) Bereite dich morgens auf den Tag vor und reflektiere abends den vergangenen Tag.

(11) Suche dir Vorbilder.

(13) Gib dein Bestes in deinen unterschiedlichen Rollen – also im Verhältnis mit anderen Menschen.

(14) Beseitige das Unnötige.

(15) Vergiss den Ruhm.

(16) Führe ein einfaches Leben.

(17) Vermeide Nachrichten und andere Zeitfresser.

(18) Gewinne in dem, was (langfristig) zählt.

(19) Lerne lebenslang.

(20) Sammle Schätze über das Jetzt hinaus.

(21) Tue, was getan werden muss und zögere nicht hinaus.

(22) Was uns stört, sind unsere inneren Bewertungen.

(23) Überwinde Trauer, überspiele sie nicht.

(24) Mut und Ruhe vor Wut.

(25) Überwinde Angst. Unsere imaginäre Angst (die nicht eintrifft) hat echte Folgen. Sie lähmt uns.

(26) Gib nicht äusseren Ereignissen und anderen Menschen schuld – sondern deinen Erwartungen.

(27) Nutze Schmerz und Provokation als Übungsfeld.

(28) Verliere keine Zeit, deine Selbstbeherrschung wiederherzustellen.

(29) Liefere dich nicht als Marionette aus.

(31) Konzentriere dich auf das Hier und Jetzt.

(32) Sei dankbar.

(33+34) Wechsle die Perspektive. Geh in die Vogelperspektive.

(35) Das Wesentliche bleibt gleich.

(36) Beschreibe eine Situation so objektiv wie möglich.

(37) Überprüfe deine (ersten) Eindrücke.

(38) Tue Gutes, weil es das Richtige ist.

(39) Liebe deine Feinde.

(40) Betrachte dich als Teil eines grossen Ganzen.

(41) Bedenke, dass andere nicht mit Absicht falsch handeln (sondern weil es ihnen an einer gewissen Weisheit mangelt).

(42) Finde eigene Fehler.

(43) Vergib denen, die straucheln.

(44) Nütze Begegnungen als Gelegenheit für Freundlichkeit.

(45) Frage dich bei Beleidigungen, was zutrifft – und lasse das andere hinter dir.

(46) Rechne im Training mit Blessuren.

(47) Lasse andere nicht im Stich – so wenig wie dich selbst.

(48) Erkaufe dir Gelassenheit.

(49) Versetze dich in die Lage anderer Menschen.

(50) Wähle deine Gesellschaft mit Bedacht.

(51) Urteile nur über dich selbst.

(52) Tue Gutes, nicht nur nichts Schlechtes.

(53) Sage nur das, was nicht ungesagt bleiben sollte.

(54) Bemühe dich um Verständnis.

(55) Geh mit gutem Beispiel voran.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich betrachte den Stoizismus als Form des Reduktionismus. Ein personaler Schöpfer, dem wir Rechenschaft schulden, wird ausgeblendet. In meiner Arbeit zu Frankl führe ich einige Unterschiede aus:

  • Sinn ist vorgegeben, nicht gewählt.
  • Leid erhält keinen Sinn aus sich selbst.
  • Der erlöste Mensch erhält Sinn durch Hoffnung auf Christus.
  • Die Bibel verbindet das äußere Handeln des Menschen stets mit seinen Motiven. Beides soll im Einklang mit Gottes Normen stehen.
  • Jeder Mensch hat eine transzendente “Kompassnadel” verinnerlicht. Er weiss um etwas, das er nicht wissen will.
  • Der nicht erlöste Mensch hat sich selbst zum Subjekt gemacht.
  • Jeder Mensch ist schuldig vor seinem Schöpfer.
  • Jeder Mensch ist seinem Schöpfer gegenüber verantwortlich.

Jedenfalls scheint es mir wenig und schlechte Theologie zu verraten, wenn man den Menschen immer nur auf sich selbst zurückstößt und ihm nicht einmal den Eifer um Gottes Ehre als den Leitgedanken für die Gestaltung seines Lebens vor Augen stellt. Denn für Gott, und nicht für uns selbst sind wir in erster Linie da… (Johannes Calvin an Kardinal Sadolet)