Zitat der Woche: Wenn wir ein untergeordnetes Gut zu hoch bewerten

Bis in die Neuzeit – ich glaube, bis zur Zeit der Romantiker – hat niemand behauptet, dass Literatur und Kunst Selbstzweck seien. Sie “gehörten zum schmückenden Teil des Lebens”, sie boten “unschuldige Zerstreuung”; oder aber sie “verfeinerten unsere Sitten” oder “regten uns zur Tugend an” oder verherrlichten die Götter”. Die große Musik wurde für Messen geschrieben, die großen Bilder gemalt, um einen Platz an der Wand des Speisesaals eines adligen Mäzens zu finden oder um die Andacht in einer Kirche zu entfachen; die großen Tragödien wurden entweder von religiösen Dichtern zu Ehren des Dionysos oder von kommerziellen Dichtern zur Unterhaltung der Londoner an den halben Feiertagen geschrieben.

Erst im neunzehnten Jahrhundert wurde man sich der vollen Würde der Kunst bewusst. Wir begannen, sie “ernst zu nehmen”… Aber das Ergebnis scheint eine Entfremdung des ästhetischen Lebens gewesen zu sein, in dem uns nur noch hochgeistige Werke bleiben, die immer weniger Menschen lesen, hören oder sehen wollen, und “populäre” Werke, für die sich sowohl diejenigen, die sie machen, als auch diejenigen, die sie genießen, halb schämen… indem wir ein wirkliches, aber untergeordnetes Gut zu hoch bewerten, sind wir nahe daran, dieses Gut selbst zu verlieren.

Je länger ich mich damit beschäftigte, desto mehr kam mir der Verdacht, dass ich ein universelles Gesetz wahrnehme… Die Frau, die einen Hund zum Mittelpunkt ihres Lebens macht, verliert am Ende nicht nur ihre menschliche Nützlichkeit und Würde, sondern sogar das eigentliche Vergnügen der Hundehaltung. Der Mann, der den Alkohol zu seinem wichtigsten Gut macht, verliert nicht nur seine Arbeit, sondern auch seinen Gaumen und jede Fähigkeit, die früheren (und einzig angenehmen) Stufen des Rausches zu genießen. Es ist eine herrliche Sache, für ein oder zwei Augenblicke das Gefühl zu haben, dass der ganze Sinn des Universums in einer Frau zusammengefasst ist – herrlich, solange andere Pflichten und Vergnügungen dich immer wieder von ihr wegreißen. Aber räumen Sie die Decks ab und arrangieren Sie Ihr Leben so (manchmal ist es möglich), dass Sie nichts anderes zu tun haben, als sie zu betrachten, und was passiert? Natürlich ist dieses Gesetz schon einmal entdeckt worden, aber es wird sich wiederholen lassen. Man kann es wie folgt formulieren: Jede Bevorzugung eines kleinen Gutes gegenüber einem großen oder eines Teilgutes gegenüber einem Gesamtgut bringt den Verlust des kleinen oder Teilgutes mit sich, für den das Opfer erbracht wird.

Anscheinend ist die Welt so beschaffen… Man kann keine zweiten Dinge bekommen, indem man sie an die erste Stelle setzt; man kann zweite Dinge nur bekommen, indem man erste Dinge an die erste Stelle setzt.

C.S. Lewis, “First and Second Things,” God in the Dock (Grand Rapids, MI: William B. Eerdmans Publishing Co., 1970), S. 278-280.

Wenn wir die ersten Dinge an die erste Stelle setzen, bekommen wir die zweiten Dinge dazu; wenn wir die zweiten Dinge an die erste Stelle setzen, verlieren wir sowohl die ersten als auch die zweiten Dinge. Wenn wir gierig sind, können wir z. B. nicht einmal den sinnlichen Genuss des Essens in seiner besten Form erleben.

The Collected Letters of C.S. Lewis, Vol. III, Narnia, Cambridge and Joy, 1950-1963, edited by Walter Hooper, HarperSanFrancisco, 2007, S. 111.

Quelle siehe hier

Input: Eine Charakterisierung der menschlichen Persönlichkeit

In einer 1928 vor Studenten einer technischen Ausbildung gehaltenen Vorlesung, kürzlich in englischer Fassung erschienen unter dem Titel Personality and Worldview (hier habe ich den Kerngedanken davon wiedergegeben), fasste der Niederländer Missiologe J. H. Bavinck (1895-1964), Herman Bavincks Neffe, das Wesen der Persönlichkeit in folgende Elemente:

  • Grunddefinition: Unter Persönlichkeit verstehen wir eine organisierte Seele, die sich ihrer selbst bewusst geworden ist. 
  • Kennzeichen Einheit: Das erste Kennzeichen der Persönlichkeit ist immer ihre Einheit. Eine Seele kann insofern als Persönlichkeit bezeichnet werden, als die Kräfte in ihr miteinander in Verbindung getreten sind und sich gegenseitig durchdrungen haben.
  • Kennzeichen Selbständigkeit: Die Seele ist weiter selbstständig, von Gott geschaffen, mit ihren besonderen Funktionen, die in ihrer gesamten Natur und ihrem Wesen zu finden sind, mit Strebungen, Fähigkeiten, die wir im bewussten Leben zur Geltung kommen sehen und die wir aus diesem bewussten Leben kennenlernen.
  • Rezeptive Fähigkeit (passiv): Wie stellen wir fest, dass die Seele eine große Aufnahmefähigkeit besitzt. In unserem bewussten Leben beginnen wir dies zu sehen, indem wir direkt bemerken, dass unser Bewusstsein für viele Eindrücke aus der äußeren Welt offen steht. Es reflektiert die äußere Welt.
  • Bewahrende Fähigkeit (passiv): Zweitens können wir von der Seele sagen, dass sie aufbewahrt. … Wir begegnen ihr zum Beispiel im Gedächtnis. … … Auf eine andere Weise begegnen wir ihr im (Wieder-)Erkennen. … Die Speicherfähigkeit der Seele ist so groß, dass die Seele selbst oft nicht weiß, was sie in den Kellern des Gedächtnisses vergraben hat.
  • Verbindende Fähigkeit (aktiv): Die dritte Sache, die uns beschäftigt, ist die verbindende Kraft der Seele. … Die Seele gibt sich nie damit zufrieden, die Dinge einfach nebeneinander zu stellen. Sie muss auch die Verbindung, das Bindeglied zwischen ihnen kennen [weten]. 
  • Bewertende Fähigkeit (passiv): Die Seele geht weiter und lebt ihr eigenes subjektives Leben. Das bedeutet, dass sie auch anerkennend in die Wirklichkeit jenseits ihrer selbst eintritt.  … Sie drückt allem einen bestimmten Wert auf, sei es zum Guten oder zum Schlechten.
  • Verlangende Fähigkeit (aktiv): Die Seele verlangt nach Dingen. Das ist eine neue Kraft in ihr. Sie nimmt die Welt nicht so hin, wie sich die Dinge in ihr darstellen. Vielmehr will sie immer wieder Veränderungen in ihr herbeiführen. Sie formt die Welt nach ihrem eigenen Geschmack um. Für [die Seele] ist die Wirklichkeit noch eine Möglichkeit, aus der sie alles machen kann. 
  • Aussen und innen: Die Außenwelt wirkt durch die rezeptive Funktion auf uns ein, und wir [üben unseren Einfluss] auf die Außenwelt durch den Willen aus.
  • Tendenz Leben im Aussen: (Der eine ist) außergewöhnlich offen für die Außenwelt, so sehr, dass er fast kein Innenleben hat. Er lebt in der äußeren Welt. Er muss immer sehen, hören und Eindrücke von außen empfangen. 
  • Tendenz Leben im Innen: In allem will er nach seinen eigenen Erkenntnissen leben, nach seinen eigenen Bedürfnissen. Und er will allem seinen Stempel aufdrücken.
  • Totalität: Der Mensch ist nicht einfach die Summe der psychischen Funktionen, sondern ein zusammengewachsenes Ganzes, in dem jede Funktion einen unverwechselbaren Platz einnimmt und eine einzigartige Bedeutung hat.
  • Selbsterhaltung: (Im Menschen steckt) der Hunger nach Selbsterhaltung, nach Selbstkultivierung, nach Selbstversorgung. Er ist von Anfang an im Menschen verborgen und arbeitet in ihm wie ein Motor.
  • Gemeinschaft: Zweitens können wir auf den Hunger nach Geselligkeit, nach Sympathie, Freundschaft, Liebe verweisen.
  • Hunger nach Gott: Es scheint etwas im Menschen zu geben, das mehr sieht, das etwas Höheres will, das nicht ruhen kann, bis es das Unsichtbare, das Unendliche, das Ewige gefunden hat.

Zitat der Woche: Warum Christen ihr kulturelles Reisegepäck kennen sollten

Ron Kubsch im hörenswerten Podcast “Christsein in der Spätmoderne” (78 Minuten; ab Minute 6):

Die Kultur, in der wir aufwachsen, verfügt über eine enorme Prägekraft für unser Denken, für unser Leben, für unser Fühlen und auch für unser Glaubensleben. Die Kultur, in der wir groß geworden sind, bestimmt intensiv mit, wie wir die Welt sehen, wie wir uns selbst sehen. (Charles Taylor hat in seinem Klassiker der Religionsphilosophie “Ein säkulares Zeitalter”) den Begriff des sozialen Vorstellungsschemas entwickelt. Was meint er damit? Taylor will damit sagen, dass die Kultur, in der wir leben, geprägt wird durch bestimmte Überzeugungen, durch Verhaltensweisen, durch normative Erwartungen, auch durch unbewusste Annahmen. Die Angehörigen der Kultur oder der Gesellschaft teilen eben diese Überzeugungen, Verhaltensweisen, Annahmen. Vorstellungsschematas sid die Art und Weise, wie sich Menschen die Welt und ihr Handeln intuitiv vorstellen. Es ist so etwas wie eine Art Reisegepäck, das wir, ob wir es wissen oder nicht, immer mit uns herumtragen. Es gibt Situationen, zum Beispiel am Flughafen, da ist es sehr hilfreich zu wissen, was im Reisegepäck drin ist.

Ein einfaches Beispiel: Wir haben als Familie mehrere Jahre im Ausland gelebt. Dort gibt es eine andere Sprache. Es gibt andere Werte, andere Umgangsformen. Als wir dann zurückgekommen sind nach Deutschland, also in das Land, in dem meine Frau und ich aufgewachsen sind, haben wir unsere eigene Heimat mit ganz anderen Augen gesehen, weil wir den Kulturkreis für eine bestimmte Zeit (6 Jahre) verlassen hatten.

Leider ist es so, dass wir gerade gegenüber der eigenen Kultur, in der wir aufgewachsen sind, blind sind. Wir denken ja, das ist halt so, weil wir mit dem entsprechenden Vorstellungsschema groß geworden sind. Deshalb ist es so wichtig, sich mit der Kultur, in der wir leben auseinanderzusetzen. Man nennt dies Kulturhermeneutik, das Verstehen lernen dessen, was bei uns passiert und was bei uns wichtig ist.

Input: Warum die christliche Weltsicht die genaue Untersuchung des Kosmos fördert(e)

  • Das physikalische Universum ist eine objektive Realität, die sich ontologisch vom Schöpfer unterscheidet (1. Mose 1,1; Johannes 1,1).
  • Die Naturgesetze weisen Ordnung, Muster und Regelmäßigkeit auf, da sie von einem ordnenden Gott geschaffen wurden (Psalm 19,1-4).
  • Die Naturgesetze sind im gesamten physikalischen Universum einheitlich, da Gott sie geschaffen hat und durch seine Vorsehung aufrechterhält.
  • Das physikalische Universum ist verstehbar, weil Gott uns geschaffen hat, um sich selbst, uns selbst und den Rest der Schöpfung zu erkennen (1. Mose 1-2; Sprüche 8).
  • Die Welt ist gut, wertvoll und einer sorgfältigen Untersuchung wert, weil sie von einem vollkommen guten Gott zu einem bestimmten Zweck geschaffen wurde (1. Mose 1). Der Mensch als einzigartiges Ebenbild Gottes wurde geschaffen, um die Güte der Schöpfung zu erkennen, zu entdecken und zu entwickeln, zur Ehre Gottes und zur Verbesserung des Menschen durch Arbeit. Der Schöpfungsauftrag (1. Mose 1,26-28) schließt die wissenschaftliche Tätigkeit ein.
  • Da die Welt nicht göttlich ist und daher kein geeignetes Objekt der Anbetung darstellt, kann sie ein Objekt rationaler Studien und empirischer Beobachtung sein.
  • Der Mensch besitzt die Fähigkeit, die Intelligenz des Universums zu entdecken, da er nach dem Bilde Gottes geschaffen und auf die Erde gestellt worden ist, um die ihm innewohnenden Möglichkeiten zu entwickeln.
  • Da Gott nicht alles über die Natur offenbart hat, ist eine empirische Untersuchung notwendig, um die von Gott in der Schöpfung angelegten Muster zu erkennen.
  • Gott ermutigt die Wissenschaft, ja er treibt sie sogar voran, indem er den Menschen auffordert, über die Natur zu herrschen (1. Mose 1,28).
  • Die intellektuellen Tugenden, die für die Durchführung des wissenschaftlichen Unternehmens unerlässlich sind (Fleiß, Ehrlichkeit, Integrität, Demut und Mut), sind Teil von Gottes moralischem Gesetz (Exodus 20,1-17).

Douglas Groothuis, Christian Apologetics: A Comprehensive Case for Biblical Faith (Downers Grove, IL; Nottingham, England: IVP Academic; Apollos, 2011), 102f.

Predigt: Was muss ich tun, um dazu zu gehören?

David Jany erklärt in seiner Predigt «Jesus ist mehr als Religion» treffend das Wesen von Religiosität (ab Minute 20): Es geht darum ein menschliches System einzuhalten. Es wird mittels der Frage konkretisiert: Was muss ich tun um dazu zu gehören? In der aktuellen Leitreligion des Säkularismus beispielsweise: Wie muss ich mich ernähren – kleiden – reisen – sportlich betätigen?

Jany nennt als Merkmale einer solchen Religiosität:

  • Es wird laufend detaillierter.
  • Es schränkt immer mehr ein.
  • Es gibt immer jemand, der es noch strenger macht.
  • Es führt zu einer Dünnhäutigkeit («schnell genervt»). 
  • Es führt zur Härte gegen andere und gegen sich selbst.
  • Es hält den Betreffenden ständig im Modus der Bewertung.

Anschauliches «frommes» Beispiel:

Bibellesen ist wichtig.
Christen müssen täglich in der Bibel lesen.
Christen müssen täglich ein Kapitel lesen.
Christen müssen täglich ein Kapitel aus dem Alten und aus dem Neuen Testament lesen.
Christen lesen auch am Abend.
Christen hören die Hörbibel durch den Tag.
Christen lesen die Bibel x-mal durch (zweistellig, dreistellig).

Jany hält die Balance, indem er das scheinbare Gegenteil als zweiten Irrweg enttarnt:

Einige sagen sich: «Was machen die es sich kompliziert mit Religion – ich lebe freiheitlich!» Man fühlt sich in dieser Haltung ganz tolerant. Doch halt: In diesem Moment ist jemand felsenfest von der absoluten Wahrheit überzeugt, dass es keine absolute Wahrheit gebe. Also intolerant.

In meinem Vortrag «Was ist das Evangelium?» (2019) bin ich ausführlich auf die Gesetzlichkeit (Moralismus) und die Gesetzlosigkeit (Relativismus) als Feinde des Evangeliums eingegangen.

Input: 8 Kriterien zur Evaluation einer Weltsicht

Douglas Groothuis über die Kriterien zur Evaluation einer Weltanschauung (in Christian Apologetics, S. 52ff):

Der erste Test für jede Weltanschauung ist, dass sie erklärt, was sie erklären soll. Eine Weltanschauung hat einen breiten Bezugsrahmen; sie versucht, die Grundzüge der Wirklichkeit umfassend zu erfassen. Wenn sie uns keine Erklärung für wichtige Aspekte des Lebens gibt – Fragen nach dem Sinn, der Moral und der Sterblichkeit -, ist etwas nicht in Ordnung, denn diese Fragen sind immerwährend und relevant.

Das zweite Kriterium ist die innere logische Kohärenz. Die wesentlichen oder konstitutiven Elemente einer Weltanschauung müssen widerspruchsfrei miteinander übereinstimmen.

Das dritte Kriterium, nach dem Weltanschauungen bewertet werden sollten, ist die Kohärenz. Dieser Test ist mit der Kohärenz verwandt, geht aber darüber hinaus und besagt, dass die wesentlichen Aussagen einer Weltanschauung eng miteinander verknüpft und begrifflich verbunden sind.

Das vierte Kriterium ist die sachliche Angemessenheit. Dies betrifft die historische und empirische Dimension des Lebens. Eine Weltanschauung kann in sich konsistent sein, aber in Bezug auf die Realität, die sie zu beschreiben versucht, inkonsistent.

Die existenzielle Lebensfähigkeit ist das fünfte Kriterium. Es handelt sich um eine Art faktische Angemessenheit, die sich jedoch auf die innere Realität des Menschen konzentriert. Nur weil jemand behauptet, dass eine bestimmte Weltanschauung “für mich funktioniert”, heißt das nicht, dass diese Weltanschauung existenziell lebensfähig ist. Die Behauptung, eine Weltanschauung sei existentiell lebensfähig, bedeutet, dass sie ohne philosophische Heuchelei bejaht werden kann.

Mit der Lebensqualität verwandt, aber positiver formuliert, ist das sechste Kriterium, die intellektuelle und kulturelle Fruchtbarkeit. Wenn eine Weltanschauung (1) wirklich erklärend, (2) in sich konsistent, (3) kohärent, (4) sachlich angemessen und (5) existentiell lebensfähig ist, dann sollte sie kulturelle und intellektuelle Entdeckungen, Kreativität und Produktivität anregen. Wenn eine Weltanschauung der Realität entspricht, sollte sie ihre Anhänger motivieren, diese Realität mit Zuversicht und Energie anzunehmen und zu meistern.

Siebtens: Die radikale Ad-hoc-Anpassung ist ein wichtiges negatives Kriterium für die Prüfung von Weltanschauungen. Wenn eine Weltanschauung mit potenziell entkräftenden Gegenbeweisen konfrontiert wird, kann ein Anhänger seine Kernaussagen anpassen, um die Gegenbeweise zu berücksichtigen.

Achtens: Wenn alle Dinge gleich sind, sind einfachere Erklärungen unnötig komplexen vorzuziehen.

Zusammengefasst (S. 72):

Wenn eine Weltanschauung nicht erklären kann, was sie zu erklären verspricht, wenn sie in ihren eigenen Begriffen keinen Sinn ergibt (innere Konsistenz), wenn sie nicht beschreiben kann, was es gibt (objektive und innere Realität), wenn sie dem Leben keinen verständlichen Sinn gibt oder wenn sie intellektuell und kulturell nicht produktiv ist, dann ist sie von der Betrachtung ausgeschlossen. Ich werde argumentieren, dass das Christentum diese Tests besser besteht als alle seine Konkurrenten.

Hinweis: Das Standardwerk “Christian Apologetics” gibt es in der erweiterten Auflage mit Hörbuch.

Buchhinweis: Aristoteles über die Freundschaft

Beim mehrmaligen Anhören der Nikomachischen Ethik sind besonders die Kapitel 8 und 9 zur Freundschaft eine wahre Fundgrube. Der katholische Philosoph Joseph Koterski, dessen Vorlesungen zum Werk von Aristoteles sowie zum Naturgesetz ich schätze und wieder wiederholt angehört habe, fasst die drei Formen der Freundschaft zusammen (S. 37f):

Eine Freundschaft des Vergnügens (pleasure) ist eine Freundschaft, die darauf beruht, dass bestimmte Menschen einfach die Gesellschaft des anderen genießen, wobei beide Parteien wirklich ihr eigenes Vergnügen suchen.

1. Da das von beiden Seiten angestrebte Gut das Vergnügen und der Freude ist, neigen Beziehungen dieser Art dazu, zu verblassen und abzubrechen; wenn nämlich das, was Freude bereitet hat, aufhört, Freude zu verursachen.

2. Freundschaften junger Menschen sind oft von dieser Art, und diese Art von Beziehung kann unter Menschen mit lasterhaftem Charakter ebenso leicht bestehen wie unter tugendhaften Menschen.

Eine Freundschaft der Nützlichkeit beruht auf dem gegenseitigen Vorteil, den die Parteien in Bezug auf den anderen haben.

1. Die Freundlichkeit, die diese Art von Beziehung kennzeichnet, beruht weitgehend auf dem Nutzen, der sich aus der gegenseitigen Freundlichkeit ergibt, zum Beispiel am Arbeitsplatz.

2. Auch hier gibt es wenig, was die Beziehung aufrecht erhält, wenn die gegenseitige Nützlichkeit aufhört.

3. Menschen in Führungspositionen tun gut daran zu erkennen, ob eine freundliche Person in der einen oder anderen dieser Beziehungen steht.

Eine Freundschaft der Vortrefflichkeit (auch Charakterfreundschaft genannt) hängt davon ab, dass tugendhafte Menschen sich gegenseitig Gutes wünschen.

1. Auch wenn solche Beziehungen in der Regel angenehm oder nützlich sind, sind diese Faktoren nebensächlich, denn diese Menschen wünschen ihren Freunden um ihrer willen Gutes.

2. Eine solche Freundschaft entsteht aus dem Charakter; daher müssen die beteiligten Personen bereits tugendhaft sein oder zumindest einer von ihnen, und der andere von einem echten Tugendpotential geprägt sein, das der erste herauszuarbeiten versucht.

3. Während die Zahl der Freundschaften, die dem Vergnügen oder dem Nutzen dienen beträchtlich sein mag, ist hingegen die Zahl der Freundschaften der Vortrefflichkeit wahrscheinlich gering, weil selten. Solche Beziehungen erfordern viel Zeit und Vertrautheit.

Hier sind 10 Zitate aus Kapitel 8:

Vom Wert der Freundschaft: (Die Freundschaft ist) fürs Leben das Notwendigste. Ohne Freundschaft möchte niemand leben, hätte er auch alle anderen Güter. (8,1)

Freundschaft in der Jugend und im Alter: Den Jünglingen erwächst aus der Freundschaft Bewahrung vor Fehltritten, den Greisen die wünschenswerte Pflege und Ersatz für das, was ihre Schwäche selbst nicht mehr vermag, dem starken Manne Förderung zu jeder guten Tat. (8,1)

Der Nutzen der Freundschaft für ein Staatsgefüge: Freundschaft ist es auch, die die Staaten erhält und den Gesetzgebern mehr am Herzen liegt als die Gerechtigkeit. Denn die Eintracht ist offenbar mit ihr verwandt, und auf diese ist das Hauptaugenmerk der Staatslenker gerichtet. (8,1)

Die Gastfreundschaft zählt Aristoteles zu den Freundschaften der Nützlichkeit. (8,3) Meine Ergänzung: Wiedergeborene Menschen können andere um ihrer selbst willen einladen.

Sicherheit vor Verleumdung/Kränkung: Auch gegen Verleumdung ist nur die Freundschaft der Guten gefeit. Denn man glaubt einem nicht leicht in betreff eines Mannes, den man selbst in langer Zeit bewährt gefunden hat. In dieser Freundschaft herrscht auch das Vertrauen und stete Enthaltung von Kränkungen sowie alles andere, was zur wahren Freundschaft erfordert wird. (8,5)

Entstehung von Freundschaften und Lebensalter: Unter mürrischen Personen aber und ältlichen Leuten werden Freundschaften um so seltener geschlossen, je launenhafter sie sind, und je weniger ihnen der Umgang mit anderen Freude macht. Denn freundliches Wesen und Geselligkeit scheinen der Freundschaft vorzugsweise eigen zu sein und ihre Entstehung zu bewirken. (8,7)

Wenige Charakterfreundschaften: Freund im Sinne der vollkommenen Freundschaft kann man nicht mit vielen sein, so wenig man gleichzeitig in viele verliebt sein kann. Denn solche Freundschaft hat etwas vom Übermaße an sich, und das Übermaß der Neigung ist seiner Natur nach auf einen gerichtet. Auch geschieht es nicht leicht, dass viele gleichzeitig dem nämlichen in hohem Grade gefallen, und auch das trifft sich wohl nicht leicht, dass viele tugendhaft sind. Auch muß man vom Charakter des anderen in langem Umgang Erfahrung getan haben, was sehr schwer ist. (8,7)

Freundschaften der Überlegenheit mit unterschiedlichen Beiträgen beider Seiten: So leisten denn hier beide Teile einander nicht das Gleiche, und man darf das auch nicht verlangen; wenn vielmehr die Kinder den Eltern erweisen was den Erzeugern gebührt, und die Eltern ihren Söhnen was denen, die sie erzeugt haben, zukommt, dann wird die Freundschaft unter solchen beständig und von rechter Art sein. In allen diesen auf einer Überlegenheit beruhenden Freundschaften muß die Liebe eine verhältnismäßige sein, muß der Bessere, Nützlichere und sonst Überlegene mehr geliebt werden als lieben. (8,8)

Freundschaften und unterschiedlicher Besitz-/Wissensstand: Unter Personen von entgegengesetzten Verhältnissen und Eigenschaften scheint besonders die auf dem Nutzen beruhende Freundschaft vorzukommen, wie die Freundschaft zwischen dem Reichen und dem Armen, dem Unwissenden und dem Unterrichteten. Denn jeder begehrt nach dem, was ihm mangelt, und gibt dafür anderes als Gegengabe. (8,10)

Freundschaften Eltern/Kinder und Geschwister: Die Eltern lieben nun ihre Kinder gleichsam als sich selbst – denn die von ihnen abstammen, sind durch die Trennung so zu sagen ihr anderes Selbst –, und die Kinder ihre Eltern, als von ihnen geboren; die Geschwister lieben sich unter einander, weil sie von denselben Eltern geboren sind. … Zu ihrer Freundschaft hilft auch viel, dass sie zusammen aufwachsen und gleichaltrig sind; denn »gleich und gleich« heißt es, und gleiche Sitten machen treue Gefährten, daher auch die brüderliche Freundschaft der unter Jugendgenossen ähnlich ist. (8,14)

Weiterlesen: C. S. Lewis zu Männerfreundschaften

Aufsatz: Acht Botschaften der Vorderen Propheten

Sie sind etwas rarer geworden, meine Artikel. Aus einer Serie über die Vorderen Propheten 2023

… entstand der Aufsatz mit 8 Botschaften für das 21. Jahrhundert.

Paulus benennt die verheißene Wirkung des Alten Testaments beim heutigen Leser: Sie dient unserer Belehrung (Röm 15,4), was sich in Ausdauer und Trost auswirkt. Zudem wimmeln die Berichte von Vorbildern (griech. typoi, also beispielhaften Abbildern), die uns zur Warnung dienen sollen (1Kor 10,6.10). Wenn ich meine eigenen täglichen Lesegewohnheiten kritisch hinterfrage, sehe ich die Bibelbücher, die auf die fünf Mosebücher folgen (die Geschichtsbücher, die auch als „Vordere Propheten“ bezeichnet werden), als Aneinanderreihung von Geschichten, an die ich mich gewöhnt habe. Allenfalls vermag ich ihnen etwas abzugewinnen, wenn ich mit einer „psychologisierten“ Brille auf die Texte sehe und nach Ratschlägen zur Lebensoptimierung fische.

Wie sieht eine zuversichtlich-realistische Perspektive eines Lesers aus, der Gottes Wort den Vorrang einräumen will? Sie kombiniert Zuversicht und Realitätssinn: Zuversicht durch die unverbrüchlichen Zusagen Gottes (vgl. Hebr 6,18), Realitätssinn durch das häufige Straucheln unsererseits (vgl. Jak 3,2).

Aufsatz: Umweltschutz als säkularisierte Ersatzreligion

Vor einiger Zeit habe ich aus Didier Ernes Vorlesung zu biblischen Weltsicht von Umweltschutz 50 Thesen zusammengetragen. Die Zeitschrift Bekennende Kirche hat eine dreiteilige Serie zum Thema veröffentlicht.

Zusammenfassend lässt sich die Herausforderung der Klimadebatte in zwei Aspekte unterteilen. Die Metaphysik der Naturwissenschaften trennt das Wirken Gottes völlig vom physikalischen Weltgeschehen und beschränkt seinen Einfluss auf die Herzen oder lässt ihn nur sehr vage erahnen. Die Erwartung übernatürlicher Hilfe angesichts des Klimawandels durch das direkte Wirken Gottes und der Ruf zur Umkehr als Bedingung dafür ist auch in unseren Kreisen eher selten, wenn überhaupt vorhanden. Das darf nicht sein, denn die Trennung von Gott und Welt widerspricht der Heiligen Schrift. Als Christenheit brauchen wir eine neue Metaphysik, die beide Seiten der geschaffenen Wirklichkeit einschließt: Die Gesetzmäßigkeit der Schöpfung und das Wirken Gottes, der die Missetaten der Menschen nicht ungestraft lässt und die Gerechten bewahrt. Nicht oberflächliche fromme Floskeln von der Vorsehung Gottes, sondern ein durchdachtes biblisches Weltbild, in dem der dreieinige Gott eine aktive Rolle spielt, ist die Lösung.

Input: Theologisch kritisch bewerten und den gewaltfreien Einsatz gegen Rassismus würdigen

Ron Kubsch beschreibt treffend eine differenzierte Haltung gegenüber der Ikone des gewaltlosen Widerstands, Martin Luther King Jr.

Man darf Martin Luther King Jr. theologisch kritisch bewerten und dennoch seinen gewaltfreien Einsatz gegen den Rassismus würdigen. Ich kann Mahatma Gandhis gewaltfreie Strategie im Kampf gegen das Kastenwesen schätzen, ohne zu behaupten, er wäre dabei christlicher Friedensethiker gewesen. Die große Schwäche von Giboneys Artikel ist, dass seiner Meinung nach das politische Handeln von Personen ihre theologische Positionen markiert. Korrelationen, die es zwischen diesen zwei Bereichen geben mag und geben darf, entscheiden nicht über die Qualität theologischer Urteilsfähigkeit.